: Schaut mich an
Constanza Macras’ Choreografie „I'm not the only one“ im Prater der Volksbühne Berlin ist ein Stück Heimatforschung. Vor allem liegt immer wieder Wut im Tanz zwischen Erinnerung und Gegenwart
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Hat man dafür die Heimat verlassen, die Jugendfreundin, die depressive Mutter? Lohnt das all das schlechte Gewissen, das in den Briefen an alte Freunde aufscheint? Dass man jetzt auf der Bühne einer großen Stadt steht und das Gesicht in eine Torte gedrückt bekommt? Oder sich vor Publikum die Seele aus dem Leib wichst, in akrobatischen Yogastellungen, während man aus den sieben Stufen zum positiven Denken zitiert?
Sie sind ganz schön verzweifelt, wenn sie komisch sind, und ganz schön wütend, wenn es um Erinnerungen geht, die acht Tänzer, Performer und Schauspieler, mit denen die Berliner Choreografin Constanza Macras ihr zweiteiliges Stück „I'm not the only one“ gemacht hat. Ein Tanzstück? Ja, aber eins, das den Zweifel an der Aussagekraft der Kunst sehr groß schreibt; eine Performance über Biografien, die als Bühnenkarrieren gedacht waren und deren Protagonisten vom Glauben abgekommen sind. Und etwas zu oft sind die beiden Abende auch Ausstellung von Leerlauf – man ist sich nicht sicher, ob das zum Konzept der Aufführungen im Prater der Volksbühne Berlin gehört oder doch eher eine unfreiwillige Entblößung der Probleme ist, die der offene Arbeitsprozess dem Stück eingetragen hat.
Angekündigt war „I'm not the only one“, eine Koproduktion mit dem Schauspielhaus Wien und weiteren Theatern in der Schweiz, Frankreich und Italien, als ein Stück Motivations- und Migrationsforschung. Was treibt einen an wegzugehen? Wie fremd wird man sich selbst in der Fremde? Da die Tänzer, mit denen Macras arbeiten wollte, eh sehr unterschiedlicher Herkunft sind, lag also nichts näher, als gleich mit ihnen zu beginnen. Und so wird jeder von ihnen zum Autor. Doch so berührend die einzelnen Geschichten auch sind, so skurril und ins Groteske getrieben sie auch vorgestellt werden, oft hätte man sich mehr Entscheidungsfreude der Choreografin gewünscht, auch mal etwas weglassen zu können.
Den kürzesten Weg hat Knut (Knut Berger) zurückgelegt, ein Junge aus Gelsenkirchen. Er erzählt von einem schwierigen Schuhkauf, als er 14 Jahre alt war. Kein Paar auf der Welt hätte letztlich ausgereicht, ihn mit genügend Coolness auszustatten, um den peinlichen Onkel zu vergessen und vor den Punkern zu bestehen. „Warum ist mein Leben so viel Arbeit“, grübelt er und kommt zu dem Ergebnis: „Gelsenkirchen sagt dir nicht, wer du bist.“
Die Sehnsucht, sich selbst zu finden, ist denn auch einer der häufigsten Antriebe für den Aufbruch. Nir De-Volff, der aus Israel stammt, formuliert das im zweiten Teil so: Er bringt aus der Provinz, aus der er kommt, einen unersättlichen Hunger mit, der größer ist als sein Magen. Deshalb knabbert er schon mal seine Tanzpartnerin an.
Dass zu Hause schon alle Bilder für sie zurechtlagen, war wiederum für Jill (Jill Emerson) der Grund, dort abzuhauen und Kühen und Pferden auf der amerikanischen Farm Ade zu sagen. Und daran denkt sie immer wieder auf den Stationen ihrer Reise, wenn sie für ungewisse Tanzgastspiele nach Bratislava reist oder sich für die Werbung einer Foodcompany als Hühnchen verkleidet. Ihr Tanz aber ist einer der ständigen Selbstanpreisung und Vermarktung geworden, ein Kaufangebot, das immer anstrengender wird und ein wenig nach Viehmarkt aussieht.
Die traurigste Geschichte ist die von Yeri Anarika Vargas Sanchez, die an ihren kranken Hund und die depressive Mutter denkt, beide Kandidaten für häufige Lebensrettungseinsätze. Einmal kommt Sanchez im Outfit einer Inka-Show-Prinzessin auf die Bühne, schüttelt die goldgegürtete Hüfte, bis ihr die Folklore-Krone über die Augen rutscht und sie blind gegen die Wand knallt. Die Kapelle, die live auf der Bühne dabei ist, untermalt das akustisch – wie wenn der Clown im Zirkus auf der Bananenschale ausrutscht. Das Business ist hart, alles wird zur Ware, auch die eigene Traurigkeit.
All das erfahren wir in Fitzelchen, die verbunden werden von vielen Gesangseinlagen, Sketchen über babylonische Sprachverwirrung und kulturelle Missverständnisse an der Käsetheke oder auf dem Postamt. Die Tanzsequenzen, die sich daraus entwickeln, werden von Mal zu Mal ruppiger und härter, als ob die beschriebenen Wege nur noch überstanden werden können mit einem als Waffe ausgebildeten Körper. Sie verhakeln sich in Duos und Trios mit Füßen und Beinen, kämpfen und rangeln auf dem Boden, werfen mit Stühlen. Es ist Angriffslust, die sie immer wieder aufeinander zu und in neue Konfrontationen treibt. Ein ununterbrochener Kampf um Aufmerksamkeit; aber die Gründe, um sie zu beanspruchen, fehlen oft und das steigert den Zorn, mit dem sie sich hineinbegeben.
Schaut auf mich, ist zum Selbstzweck geworden. Besonders Hyoung-Min Kim wird auf der Bühne zum unberechenbaren Blitz. Zuletzt beweist sie auch das größte Durchhaltevermögen und schnappt sich, nachdem sie sich außer Puste getanzt hat, noch einmal das Mikro, um zu singen. Darüber geht das Licht aus. Als böte nur noch die Dunkelheit, das Abschalten aller Geräte, Schutz vor dem Zwang zur Exhibition.
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