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das uhrmachermirakel von JOACHIM SCHULZ

Es gibt so Fragen, und eine von ihnen lautet: Womit mag der alte Uhrmachermeister Bierbusch bloß seine Brötchen verdienen? Könnte man ein stattliches Einkommen erwirtschaften, indem man vor der Tür eines kleinen Uhrmacherladens steht und ein nimmer verlöschendes Pfeifchen schmaucht, wäre die Sache klar. So aber ist es ja nicht, und selbst bei bescheidenster Lebensführung vermag man kaum davon zu existieren, dass alle paar Tage ein Dreikäsehoch sein Sparschwein auf der Ladentheke schlachtet, um den coolen Tyrannosauruswecker aus dem Schaufenster zu erwerben, oder Oma Krause ihre Wohnzimmerpendüle zur Reinigung vorbeibringen lässt.

Auch von den Besuchen meines Freundes Rob wird Bierbusch nicht leben können, obwohl Rob zu seinen treuesten Kunden gehört. Jedes Jahr im Frühherbst stapft Rob in den Uhrmacherladen – immer dann nämlich, wenn der Batterie in seiner Armbanduhr die Puste ausgeht. „Oha“, sagt Bierbusch, „schon Oktober?“ Rob lächelt und nickt und überreicht ihm den erlahmten Chronometer. „Warten Sie, ich mach es sofort“, sagt daraufhin Bierbusch, öffnet das Gehäuse, wechselt die Batterie, setzt alles wieder zusammen und gibt Rob die Uhr zurück. „Was macht das?“, fragt Rob. „Zwofuffzich“, erwidert Bierbusch, und Rob sagt: „Ich bitte Sie, Sie dürfen nicht vergessen, mir Ihre Arbeitszeit zu berechnen!“ Doch Bierbusch sagt: „Ist im Preis inbegriffen!“, woraus man schließen muss, dass der Stundensatz von Uhrmachern seit Bismarcks Zeiten nicht mehr erhöht worden ist. Letztes Jahr jedoch streikte die Uhr bereits Mitte August. „Mist!“, dachte Rob, der gerade zu Besuch in seiner Heimatstadt war. Er rang eine Zeit lang mit sich, weil er befürchtete, Bierbuschs Jahresumsatz einen verheerenden Schlag beizubringen, entschied sich dann aber doch dazu, die Batterie in einem örtlichen Uhrenladen austauschen zu lassen.

Dort allerdings war man über seine Visite nicht sehr begeistert. Man nahm seine alte Zwiebel nur widerwillig an und bewies ihm, dass nur der alte Bierbusch über die atemberaubenden Stundensätze des zeitgenössischen Uhrmacherhandwerks nicht informiert ist. Zu allem Überfluss blieb die Uhr gleich am nächsten Tag wieder stehen.

„So geht das aber nicht!“, schnaubte Rob, nachdem er erneut in das Geschäft gedampft war: „Ich will mein Geld zurück!“ Der Ladeninhaber jedoch schüttelte den Kopf, wies darauf hin, dass man schließlich auftragsgemäß die Batterie gewechselt habe und zeigte ihm den Weg zum Ausgang, da man weiter nichts für ihn tun könne.

Also strebte Rob nach seiner Rückkehr doch zu Meister Bierbusch. „Ach“, sagte Bierbusch, „da fehlt sicher nur etwas Öl.“ Er öffnete das Gehäuse und beförderte einen winzigen Tropfen Öl ins Räderwerk, woraufhin die Uhr wieder munter tickte. „Prima!“, jubelte Rob: „Aber diesmal will ich etwas dafür bezahlen!“ – „Nichts da“, sagte Bierbusch, „das ist Kundendienst. Kommen Sie einfach nächstes Jahr zum Batteriewechsel wieder her.“ Und ohne eine weitere Entgegnung Robs abzuwarten, strebte er ins Freie, stellte sich neben die Ladentür und produzierte mit unverkennbarem Behagen ein paar dicke Pfeifentabakswolken.

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