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Hey, ihr da unten!

Heute erscheint sie also: die deutsche „Vanity Fair“. Hat sich Chefredakteur Ulf Poschardt endlich ein Zentralorgan seines neokonservativen Bobospießertums gebastelt?

VON ROBERT MISIK

Im neueren deutschen Spießertum haben sich in den vergangenen Jahren zwei paradigmatische Phänotypen herausgebildet: der pausbäckig-altväterliche „Mehr-Anstand-mehr-Kinder-mehr-Sittlichkeit“-Typus vom Udo-di-Fabio-Eva-Herman-Schlag und das hippe, zeitgeistige Bobospießertum, das seine Trägerschichten in verweichlichten Mittelstands-Bubis gefunden hat, die früher Pop gehört und Müll getrennt haben und nun, weil sie sich im bundesrepublikanischen Sozialstaat langweilen, mehr Härte ins Leben bringen wollen. Wohlgemerkt: mehr Härte ins Leben der Anderen.

Letztere sind eindeutig interessanter, erstens, weil es sich bei ihnen um die lässigeren – und damit die gefährlicheren – Typen handelt, und zweitens, weil das, was sie sagen, nicht völlig vertrottelt ist. Sie liegen nie ganz daneben – nur immer ein bisschen. Die bemerkenswerteste Figur dieser neokonservativen Parallelgesellschaft ist Ulf Poschardt, Ex-Tempo-Redakteur, Ex-SZ-Magazin-Macher und nunmehr Leithammel der Vanity Fair, die ab heute der neue Stern am deutschen Lifestyle-Magazin-Himmel sein will.

Gewiss, vieles von dem, was Poschardt so von sich gibt, könnte vom durchschnittlich einfältigen Pressesprecher eines Arbeitgeberverbandes nicht simpler formuliert werden: dass die Bundesrepublik eine „Sozialidylle“ ist, in der die „Bestrafung von Leistung“ oberstes Staatsziel sei, eine Gesellschaft, die nichts als „Verwöhnaroma“ ausströme, wo Unterklassen in „Hartz-IV-Luxus“ leben. Den Arbeitslosen, „die es sich im sozialen Netz bequem gemacht haben“, würde er, menschenfreundlich, wie er ist, eine „Chance auf ein Leben ohne staatliche Subvention“ gönnen. Wie großzügig!

Was den Poschardt-Typus aber vom Traditionsspießertum unterscheidet, ist, dass er den neoliberalen Neiddiskurs mit dem Geist der Revolte, dem Poprebellentum und dem Erbe von Punk und Nonkonformismus kurzschließt. Die Kinder der Revolte, führte er in raumgreifenden Essays von Zeit über taz bis zur Revival-Tempo aus, seien doch die natürlichen Parteigänger des Neoliberalismus, mit seinem Staatshass und seinem Verwirkliche-dich-selbst!-Pathos. „Versteht man Pop und seine Sehnsucht nach ungebremstem Freiheitsdrang essenzialistisch, dann gibt es für seine Anhänger nur eine Wahlempfehlung: die FDP.“

Seine Thesen ernten meist höhnische Kritik und gelegentlich auch Zustimmung, dabei hätten sie so etwas wie eine zustimmende Ablehnung verdient. Denn da ist gewiss mehr dran, als unsereinem lieb sein kann: das Freiheitspathos der Revolte hat erst die radikalindividualistischen Subjekte geschaffen, die der Postfordismus benötigte. Die Subkulturen sind, weit davon entfernt, Kommerz & Kapital auszuhebeln, auch nichts anderes als viele Marktlücken, und wo es ganz viel Markt geben soll, da stört der Staat nur. Die Selbstverwirklicher in all diesen Subkulturen sind Selbstunternehmer, wie sie sich die Henkels & Co. schöner nicht wünschen könnten: Leistungsträger, die den Sozialstaat untergraben, die den freien Marktkräften viel Biopower zuführen, nur um dann den Triumph des Kommerzes zu beklagen. Und noch eins: Das Pathos vom „Abenteuer der Existenz“ und der Kitzel von den „Härten der Realität“, den Poschardt zu einem Sartre-Hayek-Jünger-Brei verrührt, die haben mehr als nur oberflächliche Verwandtschaft mit der Verachtung für die Fadesse des Normalolebens, wie sie in jungrevolutionären Zirkeln seit je dazugehört. „Abenteuer der Existenz“: Das wurde nicht nur in Jüngers „Stahlgewittern“ gefeiert, sondern auch von Spontis und vom „schwarzen Block“.

Sagen wir es so simpel und offen wie möglich: Es gibt ein breites Spektrum von Milieus, links bis grün bis alternativ bis Indie, ein Meer von Leuten, die nichts mehr hassen, als Mainstream zu sein, die gerne gut leben, aber den hoch dotierten Brotjob verabscheuen, die Lifestylekonsum pflegen, dabei aber möglichst ökologisch korrekt vorgehen, die sich über wachsende soziale Ungleichheit grämen und ein selbstbestimmtes Leben ohne Chef vorziehen, die brodelnde innerstädtische Quartiere mit einem schönen Mix aus ehemals besetzten Häusern, abgefuckten Kneipen, guten Esslokalen und ein, zwei Falafelbuden zu schätzen wissen. Sie alle sind objektiv ein bisschen Komplizen des Neoliberalismus. Daran lässt sich nicht leicht etwas ändern. Aber es lässt sich schon auch gegensteuern. Das wird dann zwar ein täglicher Balanceakt, aber so ist das Leben: keine einfache Sache, oft ziemlich tricky. Diese Leute meinen etwa, dass ein Gemeinwesen mehr ist als die Summe der Egoismen der Einzelnen. Für solche Leute gibt es, beispielsweise, die taz.

Und dann gibt es die Poschardts, für die der Umstand, dass der Konsumkapitalismus die rebellischen Energien prima in seine Maschinerie einzuspeisen versteht, keine nichtintendierte Nebenfolge und auch kein Problem darstellt. Sie sagen: Klasse, dann gehen wir gleich zum Westerwelle. Dass die Sozis uncool sind, wussten wir immer schon, und diese Öko- und 68er-Moralisten sind es noch viel mehr. Cool sind wir: Darum nehmen wir den Asis die Stütze weg, dann müssen wir weniger Steuern zahlen und haben noch mehr Geld zum Coolsein. Die Freiheit, die hier beschworen wird, hat freilich etwas von einer objektiven Zwangsläufigkeit: die Freiheit, seinen nackten ökonomischen Egoismen zuwiderzuhandeln, ist beim Poschardt’schen „Freiheits“-Begriff nicht vorgesehen. Freiheit reduziert sich auf die Freiheit, möglichst rücksichtslos den Kampf ums Dasein führen zu dürfen, oder besser: zu müssen. Ein ziemlich dürrer Existenzialismus.

Ab heute lässt sich nachlesen, ob Poschardt Vanity Fair zum Zentralorgan des Ego-Existenzialismus gemacht hat.

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