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Im Schweinsgalopp in den Wilden Osten

Deutsche „Tornados“ sollen nun „Aufklärungsbilder“ aus Afghanistan liefern dürfen. Dabei liefert doch Hollywood schon seit Jahrzehnten Bilder aus dem Hindukusch, die alles sind – nur nicht aufklärerisch. Über die Reflexion eines Konflikts in populären US-Medien, von John Rambo bis James Bond

„Möge Gott uns vor dem Biss der Kobra und der Rache des Afghanen bewahren. Weißt du, was das bedeutet?“

VON THOMAS KRAMER

Kaum hat sich der Staub der zerberstenden Twin Towers in Oliver Stones Film „World Trade Center“ auf den Leinwänden verzogen, da verkündet der Regisseur in Variety, seit über hundert Jahren das amerikanischen Zentralorgan fürs unterhaltsame Genre, sein aktuelles Mammutprojekt: ein Afghanistan-Film mit dem Titel „Jawbreaker“. Der Film schildert die Jagd auf Ussama Bin Laden anhand der Erinnerungen eines CIA-Agenten.

Um vorab schon mal zu erfahren, woher ein breites europäisches und amerikanisches Kino- und Fernsehpublikum seit Jahrzehnten sein Wissen über Afghanistan bezieht, lohnt ein Blick auf die medialen Reflexionen über das Land und seine Konflikte. Aufgrund der exponierten Lage der Region als Sprungbrett zum indischen Subkontinent war die Afghanistan-Karte seit dem 19. Jahrhundert der Joker im medientauglichen „großen Spiel“ der Weltmächte um Asien.

1975 verfilmte der Starregisseur John Houston die Novelle „Der Mann, der König sein wollte“ des viktorianischen Autors Rudyard Kipling. Darin schlagen sich zwei britische Abenteurer – verkörpert von Michael Caine und Sean Connery – im 19. Jahrhundert bis in die wildeste Ecke Nordwestafghanistans durch. Dort gründen sie das Königreich Kafiristan.

Den beeindruckten Afghanen präsentiert sich einer der beiden als direkter Nachfolger des großen Alexander und krönt sich zum gottgleichen Herrscher. Nach anfänglichem Triumph erliegt er schließlich der Hybris der Macht.

Die abenteuerliche Geschichte hat eine reale Vorlage: 1839 führte der amerikanische Draufgänger Josiah Harlan Stammeskrieger über den Hindukusch, stürzte in Kabul einen König, setzte den nächsten ein, und leitete als graue Eminenz die Staatsgeschäfte.

Der Quäker Harlan – aufgrund seiner militärischen Ambitionen später von der friedliebenden Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen – verabscheute die koloniale Praxis der Briten. Ihn faszinierten die Ideale der jungen amerikanischen Demokratie. Sein Biograf bemerkt: „Harlan betrachtete das […] amerikanische Imperium als moralische Kraft, die den primitiven Völkern Aufklärung brachte. […] Nicht einfach als Griff nach der Macht, sondern als Gabe einer neuen Weltordnung für einen obskuren Winkel der Erde.“

In den populären Medien der USA hat sich an dieser Einstellung bis heute kaum etwas geändert. So wundert es wenig, dass sich massenmedial wirksame Interpretationen des Afghanistankonflikts an uramerikanischen Western-Plots orientieren.

Es sind Geschichten um europäische und amerikanische Helden, in denen die Menschen Afghanistans zumeist als bunte Kulisse dienen.

Ähnlich den Indianern bei James F. Cooper oder in John Fords Kavallerie-Epen, sind die „Eingeborenen“ im besten Falle edle Wilde, im schlimmsten Falle eine Horde blutrünstiger Barbaren. Es ist wie im klassischen Western: Die moralische Bewertung „der Rothaut“ oder „des Afghanen“ richtet sich in herkömmlichen wie modernen Medienprodukten nach der Stellung zum weißen Helden. Ethnologische oder geografische Details spielen keine Rolle.

1979 marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein und entfesseln damit einen jahrelangen Guerillakrieg. Nachdem sich die Unterhaltungsmedien mit der Interpretation der Ereignisse jahrelang auffallend zurückhielten, thematisieren 1987 beziehungsweise 1988 gleich zwei Großproduktionen den sowjetisch-afghanischen Konflikt.

Zunächst steht James Bond in „Der Hauch des Todes“ den Afghanen in ihrem Befreiungskampf bei. 007, in seinem 15. Abenteuer von Timothy Dalton verkörpert, wird auf einen russischen Stützpunkt im Kriegsgebiet verschleppt. Bei seiner gewohnt rasanten Flucht befreit Bond Kamran Shah, einen stellvertretenden Kommandanten der Mudschaheddin.

Ein Jahr später greift mit John Rambo, dargestellt von Sylvester Stallone, Hollywoods Mann fürs Grobe ein. In „Rambo II“ hatte er, von den Versagern in Washington längst abgeschriebene, GIs aus der Folterhölle des Vietcong befreit.

Nun bot sich im dritten Teil der Saga die Gelegenheit, den Vietnamkrieg am Khyberpass nochmals nachträglich zu gewinnen. „Rambo III“ war mit 63 Millionen Dollar der teuerste bis dahin produzierte Streifen der Filmgeschichte. Weltweit spielte er 190 Millionen ein.

Zudem gebührt dieser Gewaltorgie das Verdienst, erstmals einen Film mit Afghanistan-Thematik im Guinnessbuch der Rekorde platziert zu haben. In seiner Ausgabe von 1990 wird „Rambo III“ mit 221 Gewalttaten und 108 Morden zum brutalsten Film aller Zeiten gekürt.

Das hielt die Bundesfilmprüfstelle Wiesbaden allerdings nicht davon ab, dem blut- und schweißtriefenden Streifen ob seiner stramm antisowjetischen Botschaft zunächst das Prädikat „wertvoll“ zu verleihen. Die Entscheidung wurde nach öffentlichen Protesten allerdings zurückgenommen.

Dabei ist doch ein gewisser Bildungsanspruch unverkennbar: Zwischen den Metzeleien bleibt nämlich Platz für tiefsinnige historisch-religiöse Diskurse zwischen dem wortkargen Mann aus dem fernen Amerika und seinem redseligen Waffenbruder Mousa. Das klingt so:

„Alexander der Große versuchte dieses Land zu erobern, dann Dschingis Kahn, dann die Briten. Jetzt die Russen. Aber die Afghanen kämpfen hart, sie sind nicht zu besiegen. Unsere früheren Feinde schufen ein Gebet über uns. Willst du es hören?“

Rambos Antwort: „Hmm“.

Mousa darauf: „Sehr schön. Es geht so: Möge Gott uns vor dem Biss der Kobra, dem Zahn des Tigers und der Rache des Afghanen bewahren. Weißt du, was das bedeutet?“

Rambo schlussfolgert: „Dass ihr Jungs keinen Shit raucht?“, und Mousa bestätigt: „Ja, so etwas in der Art.“

Ursprünglich war im Abspann zu lesen, dass „dieser Film dem tapferen Volk von Afghanistan“ gewidmet sei. Inzwischen lassen US-Fernsehsender bei aktuellen Ausstrahlungen diese Würdigung weg.

Hatte sich das populärmediale Interesse an Afghanistan mit dem Abzug der Russen 1989 gelegt, änderte sich das mit dem 11. September schlagartig.

Am schnellsten konnten Produzenten von TV-Serien auf die veränderte Weltlage reagierten. Das anschaulichste Beispiel bietet „JAG – Im Auftrag der Ehre“, eine hochkarätige Mischung aus Militärserie, Thriller, Gerichtsdrama und Soap.

JAG steht für Judge Advocate General’s Corps, also die Justizbehörde der US- Streitkräfte. In der von 1995 bis 2005 laufenden Serie kämpft eine Schar ultrapatriotischer Militärjuristen für das Gute in der Welt.

Im Mittelpunkt stehen Staranwalt und Fliegerass Commander Harmon Rabb und seine mandeläugige Kollegin Lt. Colonel Sarah MacKenzie. Weltweit löst das Traumpaar Fälle, in die US-Militärangehörige verwickelt sind. Nach dem 11. September 2001 wechseln sich Irak und Afghanistan als Schauplätze regelrecht ab. Bereits am 15. Januar 2002 kommt es zum ersten – so der deutsche Verleihtitel – „Einsatz in Afghanistan.“

Ganz nebenbei erfährt man nun von Sarah McKenzies persischer Großmutter und ihren perfekten Farsi-Kenntnissen, die sie für die Aufgabe in der Krisenregion prädestinieren. Immer wieder wird gezeigt, wie die Taliban afghanische Zivilisten terrorisieren. Die amerikanischen Soldaten, einzige Hoffnung der einfachen Bevölkerung, sind vom gleichen Sendungsbewusstsein erfüllt wie ihr Vorfahr Josiah Harlan im 19. Jahrhundert.

Die endgültige Apotheose des selbstlosen amerikanischen Helfers setzt mit der Folge „Jagd auf Kabir“ vom 14. Mai 2002 ein. Auf dem Weg zur Einweihung einer afghanischen Dorfschule tritt JAG-Anwalt Lt. Commander Roberts bei dem Versuch, ein Kind zu retten, auf eine Landmine. Die Schule wurde aufgrund eigentlich unbewiesener Anschuldigungen – eine amerikanische Bombe hätte die alte Schule zerstört – großzügig von US-Truppen gestiftet.

Es stellt sich heraus, dass der kleine afghanische Junge über die Minen Bescheid wusste und den Amerikaner nur provozieren wollte. Roberts verliert ein Bein, gewinnt den Purple-Heart-Orden und der Zuschauer den Eindruck, dass diese undankbaren Wilden das alles nicht verdienen.

Deutschland hinkt bei der medialen Mobilmachung wieder einmal hinterher. Bislang existieren lediglich zwei schmale „Romane“ um Jerry Cotton aus dem Bastei-Verlag zum Thema: „Die Afghanistan-Connection“ und „Kartell der Verräter“.

Die überwunden geglaubten Taliban gewinnen täglich an Boden. So wird Oliver Stones „Jawbreaker“-Projekt nicht die letzte breitenwirksame Interpretation des Konflikts sein.

In Variety jedenfalls hat er schon mal ein „irgendwie“ politisches Drama „mit einer Menge Action und Thriller-Elementen“ angekündigt.

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