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Eine Enterbte auf Kur

Start einer neuen Werkausgabe mit den Short Storys von Katherine Mansfield. Im ersten Band lernt man: Progressive Kneipp-Kuren waren nicht vorgesehen im deutschen Kaiserreich

VON FRANK SCHÄFER

Mit Katherine Mansfields neu übersetztem Debüt „In einer deutschen Pension“ eröffnet Haffmans eine fünfbändige Werkausgabe, die die Short Storys dieser Schriftstellerin in Einzelbänden präsentiert. Der Opener liest sich gut, ist profund kommentiert und mit einem Nachwort versehen, einfach liebevoll gemacht – so kann es weitergehen.

Mansfield selbst hielt diese Sammlung, die ihre ersten literarischen Arbeiten, die Erzählungen der Jahre 1909 bis 1911 zusammenfasst, ein paar Jahre später bereits für „viel zu unreif“ und von „jugendlicher Bitterkeit“ und „grobem Zynismus“ geprägt. Da ist durchaus was dran. Das lag vermutlich auch an ihrer krisenreichen Lebenssituation in jenen Jahren. Seit 1909 hält sie sich tatsächlich in Deutschland auf, in der Kneipp-Stadt Bad Wörishofen, aber richtige Kur- und Urlaubsstimmung will sich nicht einstellen. Sie erleidet eine Fehlgeburt, wird von den großbürgerlichen Eltern wegen ihres allzu progressiven Umgangs mit Männern enterbt, was arge Geldprobleme mit sich bringt, und erkrankt später an einer Bauchfellentzündung, die eine Operation nötig macht. In diesen tristen Zeiten versucht sie, als Autorin zu reüssieren, und wenigstens das gelingt ihr gleich auf Anhieb – nicht zuletzt wegen ihrer guten Beziehungen.

In kleinen, mitleidlos-maliziösen Erzählungsskizzen, die zunächst im Londoner Wochenblatt The New Age erscheinen, beschreibt sie ihren Alltag, den Kurbetrieb, die anderen Gäste der Pension Müller, wo sie logiert, und porträtiert so vor allem ziemlich scharfsichtig den deutschen Untertanen- und Spießergeist der Zeit, diese widerwärtige Mischung aus krudem Chauvinismus, Pedanterie, Obrigkeitshörigkeit, Provinzialität, romantischer Gefühligkeit und moralischer Anstandspusselei. Man hat diese Erzählungen als Satiren missverstanden, weil man nicht glauben konnte bzw. nicht wahrhaben wollte, dass die soziale Realität tatsächlich eine solche Karikatur war.

Aber Mansfield lässt nie einen Zweifel daran, dass sie es ernst meint. Sie beobachtet kühl diagnostizierend, nur leicht kommentierend, noch dazu sprachlich ökonomisch. Sie hält fest, was sie sieht und was die Menschen reden. Für die Satire sorgen die dann schon ganz allein: „In diesem Augenblick kam der Briefträger, der aussah wie ein deutscher Offizier, mit der Post herein. Er warf meine Briefe in meinen Milchpudding, drehte sich dann zu einer Kellnerin um und flüsterte etwas. Sie ging hastig hinaus. Der Pensionsdirektor kam mit einem kleinen Tablett herein. Eine Ansichtspostkarte wurde darauf gelegt, und mit einer Verbeugung überreichte sie der Pensionsdirektor dem Baron. Ich aber war enttäuscht, dass keine fünfundzwanzig Schuss Salut abgefeuert wurden.“

Es geht hier nicht allein um deutsche Gemütsbefindlichkeiten, sondern auch um die moderne, selbstbewusste, gebildete, aber immer noch im Fischbeinkorsett der Tradition fest verzurrte Frau. Mansfields Heldinnen laborieren an der repressiven Männergesellschaft mit ihren obsoleten, die patriarchalischen Machtstrukturen konsolidierenden Ritualen, wahren aber immer die Form. Wenn überhaupt, weiten sie die Grenzen ihres Terrains im Verborgenen aus. Aber Mansfield zeigt dabei sehr genau, was es heißt, Frau zu sein in einer präemanzipatorischen Gesellschaft, sie lässt kein gutes Haar an Ehe, Familie, Heim ’n’ Herd, an all den traditionellen Institutionen also, die seit einiger Zeit vom publizistischen Mainstream wieder als durchaus hehre, erstrebenswerte Ziele verkauft werden. Insofern könnte Katherine Mansfields Sarkasmus durchaus ein wirksames Antidot sein zu Eva Hermans Apfelkuchenfrömmelei.

Allerdings erschöpfen sich diese frühen Geschichten noch in der wenn auch cleveren und jederzeit stilsicheren Beschreibung der Oberfläche. Sie sind ein bisschen zu kunstlos in ihrer betonten Kunstlosigkeit. Und Mansfields weitgehender Verzicht auf Empathie, ihre jugendliche Bitterkeit gewissermaßen, lässt sie oft etwas ungerecht wirken, als sei hier eben doch noch nicht alles oder doch jedenfalls alles ein wenig zu tendenziös erzählt worden. Auch das hat vermutlich dem Satireverdacht Vorschub geleistet und somit der eigentlichen Wirkungsabsicht im Wege gestanden.

Katherine Mansfield: „In einer deutschen Pension“. Aus dem Englischen von Ute Haffmans. Annotiert und mit einem Nachwort herausgegeben von Heiko Arntz. Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2006, 191 Seiten, 13,90 Euro

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