: Hohe Verbeugungskunst
Schauplatz Kawasaki, 1: In „Campaign“ (Forum) heftet sich der japanische Regisseur Kazuhiro Soda in Direct-Cinema-Manier an die Fersen eines Briefmarkenhändlers, der in den Wahlkampf zieht
In der japanischen Industriestadt Kawasaki steht eine Nachwahl an. 18 Sitze hat die Liberaldemokratische Partei in dieser Gegend, sie muss den nächsten unbedingt gewinnen, um weiterhin eine Mehrheit zu haben. Sie konnte aber keinen geeigneten Kandidaten finden, deswegen muss Yamauchi Kazuhiko einspringen, ein Briefmarkenhändler, der eigentlich gar nicht in der Gegend wohnt.
Der Wahlkampf hat aber schon begonnen, und so umstandslos, wie der Kandidat sich einfach die Parteischärpe umbindet, ein Megafon in die Hand nimmt und losredet, beginnt auch der Film „Campaign“ („Senkyo“) von Kazuhiro Soda. Viele Jahre lang hat die Liberaldemokratische Partei (LDP) in Japan fast alle Wahlen gewonnen, erst in jüngerer Zeit ist dieses Monopol brüchig geworden. Mit Koizumi stellt die Partei aber auf jeden Fall den gegenwärtigen Premierminister. An der Popularität des trotz seiner grauen Haare jugendlich wirkenden Politikers orientiert sich auch Yamauchi Kazuhiko. Er stellt sich vor, die ganze Sache wäre einfacher, wenn er zuerst berühmt geworden und erst dann in die Politik gegangen wäre. „Aber jetzt bin ich schon 40.“
Als er das sagt, sitzt er mit ehemaligen Schulfreunden in einem Hotelzimmer und redet sich seine ersten Enttäuschungen von der Seele. Der Wahlkampf ist ein mühseliges Unterfangen, häufig steht Yamauchi mit nur einem Helfer an einer Straßenkreuzung oder vor einer U-Bahn-Station. Zunehmend greift die LDP aber auch ein. „Sie sind nicht einmal mit meinen Verbeugungen zufrieden.“ Die Verbeugungen sind im japanischen Alltag sowieso wichtig, ein Politiker aber muss ein richtiger Verbeugungskünstler sein. Mit heiserer Stimme und wie ein Verteidiger beim American Football fängt Yamauchi die Pendler des Feierabendverkehrs ab, stellt sich ihnen in den Weg, ergreift ihre Hand und verbeugt sich unter schnellen Parolen. An einer Stelle von „Campaign“ will er dem Kameramann die Hand geben, bevor er in letzter Sekunde bemerkt, dass es sich hier gar nicht um einen potenziellen Wähler, sondern um seinen Freund, den Dokumentarfilmer Kazuhiro Soda, handelt.
Zwischen Kamera und Protagonist passt in „Campaign“ kein Plakat – selten war ein Film so nahe dran an der Politik. Die Momente der Intimität, die aus den großen Politikfilmen des amerikanischen Direct Cinema wie „Primary“ von Robert Drew überliefert sind, zählten immer noch zur großen Politik. Hier aber ist alles Nachbarschaft, Straßenwahlkampf, Eheleben – und doch ist auch diese Ebene vermittelt mit der Führungsebene der japanischen Politik. Zwischen Koizumi, der gegen Ende zu einem kurzen Auftritt vorbeikommt, und Yamauchi liegt der straffe Apparat der LDP, der mit Wählern handelt wie mit Paketen. So muss Yamauchi einmal einem schon etablierten Lokalpolitiker einen Besuch abstatten, der eine verlässliche Anhängerschaft hat und nach einer höflichen Bitte gern bereit ist, diese Menschen für eine Wahl abzutreten.
An einer Stelle darf Kazuhiro Soda sogar in die Wohnung des Kandidaten. Da liegen sie dann auf dem Futon, zwischen unausgepackten Kisten: der aufstrebende Politiker und seine beruflich erfolgreiche Frau, von der die Menschen besser nicht wissen sollen, dass sie diejenige ist, die das Geld in der Familie verdient. 20.000 Stimmen gibt es in diesem Wahlkreis, es wird eine knappe Sache.
BERT REBHANDL
„Campaign“. Regie: Kazuhiro Soda. USA/Japan 2007. 120 Min. Heute, 20 Uhr, Arsenal
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