: Arbeit im Höhenrausch
Beim internationalen Industrieklettercup wurde die Berlinerin Anna Dudek Publikumsliebling. Sie träumt davon, den Fernsehturm zu erklettern
VON SONJA FAHRENHORST
Am reizvollsten ist für Anna Dudek das Risiko: „Du bist voll da und konzentrierst dich auf das, was du tust“, sagt die Berlinerin. Etwas anderes bleibt ihr auch nicht übrig. Anna Dudek nimmt an diesem Samstag an Deutschlands drittem internationalem Industrieklettercup teil. 28 Fassadenkletterer aus Deutschland, Skandinavien und Osteuropa haben sich in der Skatehalle in Friedrichshain eingefunden, um zu zeigen, wie geschickt sie sich am Seil fortbewegen können.
Dafür hat der Fach- und Interessenverband für seilunterstützende Arbeitstechniken (Fisa) e.V. einen Parcours mit zwei Disziplinen eingerichtet: Zunächst gilt es für die Teilnehmer, ihr Geschick bei Auf- und Umstiegstechniken an den kreuz und quer hängenden Seilen zu präsentieren. Bei der zweiten Station soll eine Unfallsituation simuliert werden: Die Teilnehmer müssen eine 80 Kilogramm schwere Last, die in Realität der verletzte Kletterpartner sein könnte, an einem Seil hinaufziehen und wieder herunterlassen.
„Alles eine Frage der Technik“, sagt Andras aus München und deutet auf das Wirrwarr aus Seilen, großen und kleinen Karabinern, Abseil- und Sicherungsgeräten an seinem Klettergurt. „Die gilt es gekonnt einzusetzen.“ In einer nur sieben Tagen dauernden anerkannten Ausbildung hat Andras gelernt, sich ohne Hilfe von Gerüsten oder Hebebühnen Sicherungspunkte für seine Seile zu suchen und sich von dort aus abzuseilen. Er kann seinen Arbeitsplatz jetzt auch hängend erreichen. „Höhenangst darfst du keine haben und irgendwie fit sein musst du“, sagt er. „Aber du musst auch was auf der Pfanne haben.“
Andras arbeitet in einem Ingenieurbüro und hängt immer dann in den Seilen, wenn Sanierungsarbeiten auf herkömmliche Art nicht möglich sind. „Industrieklettern wird langsam ein grundsolider Beruf, nicht mehr so freakig“, meint er. Trotzdem seien die Kletterer im Allgemeinen entspannt drauf.
Sven aus Jena ist das im Moment nicht: Ganze 17 Minuten hat er gebraucht, bis er mit der ersten Disziplin fertig ist. „Das wird nicht ganz reichen“, kommt vom Schiedsrichter. Der Russe habe das Ganze in fünf Minuten gemacht.“ Sven ist sauer: Wegen der Hektik und dem Zeitdruck habe er die „Längen der Materialien nicht richtig abgestimmt“. Der gelernte Zimmermann und Facharbeiter für Glastechnik macht im Arbeitsalltag alles, was mit Höhe und Montage zu tun hat. Sein höchster Einsatz war das Befestigen von Signalfahnen für die Fliegerabwehr auf dem Turm des Jenaer Heizkraftwerks in 180 Meter Höhe.
Für Annas Geschmack ist das noch nicht hoch genug: Sie träumt von einem Einsatz auf dem Berliner Fernsehturm. Gerne hätte auch sie im Sommer mitgeholfen, aus der Kugel eine Telekomwerbung zu machen. Dann ertönt ihr Name aus dem Mikrofon. Blitzschnell klettert sie die Schrägseilbahn hinauf und steigt in die Horizontalstrecke um. Dann bleibt Anna stecken. „14 Minuten und 50 Sekunden plus zwei Strafminuten!“, verkündet der Schiedsrichter. „In der Aufregung habe ich mich verbaut und hatte einen offenen Karabiner“, resümiert Anna. „Aber es hat Spaß gemacht!“
Sie vermutet, der Moskauer Aleksandr Philippov werde gewinnen. Und wirklich: Nur 8 Minuten und 2 Sekunden braucht er für beide Disziplinen. Anna bekommt als eine von zwei teilnehmenden Damen einen Sonderpreis als Publikumsliebling.
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