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Nippons Nachtmahr

Sapporo ist Gastgeber der Nordischen Ski-WM. Erfolge japanischer Sportler? Sind kaum zu erwarten. Doch fehlen die Medaillen, dann bleiben auch die Fans weg. So die Befürchtung im Land des Lächelns

VON DAVID-EMANUEL DIGILI

Als gestern die Wettkämpfe der Nordischen Ski-WM in Sapporo begannen, fühlte man sich an die Fußball-WM 2002 erinnert. Freudetrunkene Japaner schwenkten ekstatisch ihre Fähnchen und aufblasbaren Winkelemente.

Jedoch, es war nicht nur die berühmte japanische Höflichkeit gegenüber den Fremden, die zu Gast bei Freunden sind. Zwar zollten die recht zahlreich im Sapporo Dome angetretenen Gastgeber auch Norwegens Jens Arne Svartedal Respekt, der bei den Männern die Goldmedaille im Langlaufsprint holte und Mats Larsson (Schweden) und Landsmann Eldar Roenning auf die Plätze verwies.

Aber dieses Mal entstanden die rauschartigen Zustände vor allem aus dem Erfolg einer heimischen Athletin. Makado Natsumi qualifizierte sich überaus überraschend für das Finale der Frauen und wurde von den Landsleuten frenetisch angefeuert. Obwohl die Norwegerin Astrid Jacobsen dann die erste Goldmedaille der WM gewann und Natsumi nur Rang fünf belegte – Japan war begeistert.

Die Gastgeber hatten im Vorfeld nämlich Sorgen. Im Land des Lächelns fehlt die rechte Begeisterung für den Wintersport. Es wird befürchtet, dass selten ein Wettkampf vor ausverkauften Rängen ausgetragen wird.

Denn Japan ist, pünktlich zur WM im eigenen Land, keine erfolgreiche Wintersportnation mehr. So nah wie Natsumi wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit kein japanischer Athlet mehr einer Medaille bei diesen Titelkämpfen kommen. Seit der Nordischen WM 1999, als man sechs Medaillen gewinnen konnte, platzierten sich die japanischen Athleten fast ausschließlich auf den hinteren Rängen. Zu lange ruhte man sich auf den Meriten vergangener Jahre aus.

Ihre größte Zeit nämlich hatten die Sportler aus Nippon Ende der Neunziger Jahre. Damals war Japan die bestimmende Nation im Skispringen. Kazuyoshi Funaki, Hideharu Miyahira, Noriaki Kasai und Masahiko Harada gewannen 1999 in Ramsau WM-Mannschafts-Silber, auf der Normalschanze belegten sie gar die ersten drei Medaillenplätze des Einzelspringens. Ein Jahr zuvor, bei den olympischen Winterspielen 1998 im heimischen Nagano waren japanische Sportler so erfolgreich wie nie zuvor und holten insgesamt zehn Medaillen.

Jedoch, mit zunehmendem Alter und abnehmender Klasse der Stars schwand auch der Erfolg rapide. Nur vier Jahre später in Salt Lake City waren nur noch zwei Medaillen zu bejubeln. Und im vergangenen Jahr in Turin blieb Arakawa Shizuka, Olympiasiegerin im Eiskunstlauf, gar die einzige japanische Medaillengewinnerin.

Die Skispringer dagegen, die früheren Vorzeigesportler, versagen mit schöner Regelmäßigkeit. Noch immer besteht das Team fast vollständig aus den alten Helden – wenn man denn von einem Team sprechen kann. Denn Funaki, der einstige Star, sondert sich von seinen Teamkollegen immer mehr ab, trainiert mittlerweile in Slowenien, weit entfernt von den restlichen Springern in Japan.

Der Abstieg des Landes der aufgehenden Sonne hat aber auch andere Ursachen. „Es ist keine neue Generation nachgekommen“, beklagt Kari Ylianttila, der finnische Cheftrainer der einst so erfolgreichen Skispringer. Als der ehemalige Sieger der Vierschanzentournee im Juli 2005 das japanische Team übernahm, war die Zielsetzung, die Springer zur WM 2007 wieder konkurrenzfähig zu machen. „Ich denke, mit den Voraussetzungen hier in Japan müsste es möglich sein, etwas aufzubauen – und auch erfolgreich zu sein“, sagte Ylianttila zu seinem Amtsantritt. Gelungen ist ihm das nicht, zu starr scheinen die Regeln im auf Ehre bedachten Japan. Man habe zu selten über den Tellerrand hinausgesehen, Entwicklungen seien – in Anbetracht der japanischen Gründlichkeit doch zumindest überraschend – verschlafen worden, so Ylianttila. Auch das Training sei unkoordiniert und nicht mehr zeitgemäß: „Funaki zum Beispiel hat in den Jahren nach seinen Erfolgen völlig falsch trainiert, falsche Gewichtungen beim Muskelaufbau gelegt. Das kann man nicht wiederherstellen“, kritisiert der 53-Jährige.

Japans Sport leidet an einem bekannten Phänomen: Satte Stars, die trotz ausbleibender Leistungen hohe Gehälter beziehen und in ihren Fähigkeiten im besten Fall stagnieren. Auch ein System zur Jugendausbildung existiert nicht, professionelle Vereine sind selten. Zudem hat die Begeisterung für den Fußball, besonders seitdem man die WM 2002 ausrichtete, explosionsartig zugenommen. Mit zunehmendem Erfolg der Nippon-Kicker schwand das Interesse an anderen Sportarten. Schlimmer noch: Besonders die Tatsache, nicht mehr konkurrenzfähig zu sein, lässt den japanischen Wintersport in der Bedeutungslosigkeit verschwinden – international wie auch im eigenen Land. Umso vorteilhafter war da der gestrige Achtungserfolg von Makado Natsumi. Für den Sport – und die Fans, die wieder eigene Athleten bejubeln können.

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