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BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Die Digitale Bohème muss draußen bleiben

Kirsten Reinhardts Gastrokritik: Bei „Lebensmittel in Mitte“ isst man hipp-deftig zu Mittag. Prinzip: „Alle Produkte sind oder waren glücklich“

Wer den Delikatessen- und Gemüseladen „Lebensmittel in Mitte“ betritt, erschrickt erst mal. Er wird nämlich von zwei Verbotsschildern begrüßt. Doch ein genauer Blick lässt aufatmen: „No Laptops“ heißt es da, die Digitale Bohème muss also draußen bleiben. Hunde dürfen auch nicht rein – wahrscheinlich würden die durchdrehen beim Anblick der Würste, die an eisernen Haken hinter der Theke baumeln.

Zwischen lindgrün und beige gestrichenen Wänden sitzt man dann an großen Holztischen und fühlt sich schnell wie beim Familienessen – allein, dass die Familie plötzlich aus drei jungen spanischen Musikern, einem zeitungslesenden Mittvierziger und zwei Freundinnen, die beim Essen über das beste Grippehausmittel diskutieren, besteht. An der Wand wachen ein altes Hirschgeweih und ein Hechtkopf – den Fisch hat einst der Großvater geangelt – über die Tischmanieren der Gäste. Rundherum stehen Regale voll Spezialitäten: Kernöl, Kaffee, Wein, Honigsenf und Johannisbeeressig und Kisten voller Gemüse: Mangold, Petersilienwurzel, rote Zwiebeln und Breite Bohnen gibt es ebenso wie Mangos und Weintrauben. Alles ist frisch und schafft Vertrauen in die Küche.

Die ist deftig, fleischig, süddeutsch. Chef Johannes Kreiss (43) kommt vom Ammersee. Gemeinsam mit einem Schwaben und einem Badenser betreibt er den Laden seit Juni 2005. Die Käsespätzle sind zum Niederknien: hausgemacht, kross, frisch. Der Käse – ein Bergkäse aus dem Bregenzer Wald – ist perfekt kräftig, der Salat dazu knackig und die Honig-Essig-Sauce raffiniert. Zum Nachtisch gibt’s Espresso und ein Ferdinandl. So heißen kleine, zuckrige Hefeschnecken, mit Erdbeermarmelade oder Rumrosinen und Nüssen gefüllt.

Wer aus dem Süddeutschen kommt, freut sich über den Wurstsalat, der in einem großen Tontopf neben der Theke zieht und die Leberknödelsuppe, die ihren etwas strengen Geruch im Lokal verbreitet. Bestellt wird an der Theke, zwischen 12 und 15 Uhr ist kaum ein Durchkommen. Sämtliche Mitarbeiter der nahe gelegenen Agenturen essen hier. Plus jene hippen Berlinbesucher, die in der Münzstraße Röhrenjeans gekauft haben. Im Selbstbedienungskühlschrank stehen Biosäfte, Spezi (Cola-Fanta-Mix) und Bier. Das Augsburger Riegele braut ein Spezi (bayerisch für Kumpel) des Chefs. „Sämtliche Produkte sind oder waren glücklich“ steht draußen auf einer Tafel. Johannes Kreiss sagt: „Bio muss nicht sein. Wir haben Schinken von einem Bauern aus dem Schwarzwald, der weiß nicht mal, was Bio ist. Aber seine Tiere laufen draußen rum und der Schinken ist toll!“

LEBENSMITTEL IN MITTE, Rochstraße 2, geöffnet Mo.–Fr. 8 bis 21 Uhr, Sa. ab 11 Uhr, U 8, Weinmeisterstraße, Tipp: Spätzle mit Salat (6 €), Leberkässemmel (2,20 €), Ferdinandl (1,50 €)

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