: Burger Queen
Bloß nicht pathetisch werden. Richard Linklaters neuer Film „Fast Food Nation“ befasst sich bemerkenswert unempört mit den Missständen in der US-amerikanischen Fleischindustrie
von BARBARA SCHWEIZERHOF
Auf glamouröse und doch traurige Weise zeigte die Oscar-Verleihung am vergangenen Sonntag, wie es um das politische Engagement im Kino steht. Die Veranstaltung gab sich in diesem Jahr nämlich betont umweltbewusst. Konkret bedeutete das: Etliche Stars fuhren in Benzin sparenden Hybridautos vor. Außerdem trugen die Sängerinnen des „besten Songs“, der passenderweise aus Al Gores „An Inconvenient Truth“ stammte – grüne Kleider. Und nach der Show war die „Global Green“-Party ganz besonders gut besucht. Ob dort Elektrosparleuchten zum Einsatz kamen, wurde nicht vermeldet.
Wahrscheinlich muss man sich bei solchen Veranstaltungen damit zufrieden geben, dass Zeichen gesetzt werden. Welch breite Kluft zwischen gut gemeint und gut gemacht liegt, lässt sich Jahr für Jahr am Berlinale-Programm studieren, schließlich rühmen sich dessen Macher traditionell, das „politischste“ der großen Festivals zu sein. Die Preisvergabe hat das immer wieder bestätigt: Hier wurden Filme wie Jim Sheridans „In the Name of the Father“ und Michael Winterbottoms „In this World“ ausgezeichnet. In diesem Jahr erlitt der politische Ruf des Festivals durch Filme wie „Goodbye, Bafana“, „Das Haus der Lerchen“ und „Bordertown“ einen ziemlichen Schaden. Die Liste von in bester Absicht misslungener Werke ließe sich noch ergänzen, aber die drei genannten verkörpern ausgezeichnet die typischen Fehler des engagierten Films. Alle drei beruhen natürlich auf wahren Begebenheiten. In „Goodbye Bafana“ wandelt sich ein weißer Südafrikaner vom Rassisten zum besseren Menschen durch die Begegnung mit Nelson Mandela. Gut und Böse sind so klar verteilt wie Schwarz und Weiß in Zeiten der Apartheid.
In „Das Haus der Lerchen“ der Brüder Taviani, in dem es um den Genozid der Türken an den Armeniern geht, verhält es sich ähnlich: Auch hier trauen die Regisseure dem Zuschauer so wenig eigenes Urteil über das Gezeigte zu, dass in jedem Gesichtausdruck, in jeder Form, Farbe und Musik das Publikum immer noch zusätzlich angewiesen wird, wie es seine Affekte zu verteilen hat. Wer nun einwendet, dass die Forderung nach ästhetischer Raffinesse in der Darstellung von Schreckenstaten reichlich intellektuell sei, sieht sich spätestens bei einem Film wie „Bordertown“ ohne Argumente: Hier bildet die wahre Geschichte um ermordete und missbrauchte Frauen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze nur einen notwendig schäbigen Hintergrund, damit Jennifer Lopez eine gute Figur machen kann. Die Opfer sehen sich doppelt ausgebeutet – es war ein echter Tiefpunkt in der Geschichte der Berlinale und ihres politischen Anspruchs.
Interessanterweise sind es vor allem Filme, die sich mit Essen und Nahrungsmittelherstellung beschäftigen, die der Liste misslungenen Engagements im Kino etwas entgegensetzen. Nikolaus Geyrhalters „Unser täglich Brot“ ist das jüngste Beispiel. Davor gab es Erwin Wagenhofers „We Feed the World“ und Hubert Saupers „Darwin's Nightmare“. Dem wäre noch Morgan Spurlocks „Supersize me“ hinzuzufügen: vier Filme mit sehr verschiedenen Herangehensweisen und Ästhetiken – doch jedes Mal verlässt man das Kino überzeugt von Wichtigkeit und Dringlichkeit des Themas und einer gar nicht unangenehmen Mischung aus Verblüffung und Empörung. So muss es doch sein bei politisch engagierten Filmen, oder?
Richard Linklaters „Fast Food Nation“ dagegen eilt bereits der Ruf voraus, genau in dieser Hinsicht zu enttäuschen. Wer ein Pamphlet gegen die Fastfood-Industrie erwartet, wer sie entlarvt sehen will in all ihren fiesen Machenschaften, der muss wohl darauf warten, dass Michael Moore sich des Themas annimmt. „Fast Food Nation“ ist die Fiktionalisierung eines Sachbuchs. Von der Vorlage hat der Film ein Element übernommen, das man bei diesem Prozedere am wenigsten erwartet: Er begibt sich sozusagen undercover bei der Auslieferung seiner Botschaft.
Oberflächlich betrachtet ist „Fast Food Nation“ ein recht gewöhnlicher Episodenfilm. Die episodische Form mit ihren verschiedenen Perspektiven hat sich als Allerweltsformel für „Gesellschaftsbeschreibung“ durchgesetzt. Einerseits gibt es die Intrigen in der Chefetage, hier vertreten durch den von Greg Kinnear gespielten Marketingleiter des Konzerns, der zur Untersuchung der mangelnden Fleischqualität in die Niederungen der Produktion geschickt wird. Andererseits sind da die illegalen mexikanischen Einwanderer, die sich in ebenjenen Niederungen ein bescheidenes Auskommen und eine Zukunft erarbeiten wollen. Dazwischen gibt es zahlreiche Figuren, die ebendieses „Dazwischen“ repräsentieren: die allein erziehende Mutter, deren Tochter den Job im Fastfoodladen aufgibt, um sich politisch dagegen zu engagieren, außerdem noch den lüstern-erpresserischen Vorarbeiter und den renitenten Farmer. Und alle sind mit prominenten Gesichtern besetzt. Das klingt zwar nach Kosmos, aber noch in der anspruchsvollsten Verschränkung wird daraus kein zwingender Zusammenhang. Er ist genauso endlos erweiter- wie reduzierbar.
Zwischendurch hat man fast den Eindruck, dass Linklater sein Thema aus den Augen verliert: Da gibt es persönliche Konflikte wie die zwischen Mutter und Tochter oder zwischen zwei Schwestern aus Mexiko. Die Intrigen der Chefetage bleiben undurchsichtig. Die schönste Episode zeigt die als Serviererin jobbende Studentin im Kreis von Ökoaktivisten. Hitzig wird über Maßnahmen debattiert. Die Hitze speist sich weniger aus dem Wunsch nach politischer Aktion als vielmehr aus dem zwischenmenschlichen Begehren. Linklater zeigt das ganz ohne Häme: dass die Anziehungskraft von politischen Ideen stets auch mit der Anziehungskraft der Menschen, die sie vertreten, zu tun hat. Die politische Aktion der Aktivisten endet dementsprechend melancholisch: In einer mutigen Nacht-und-Nebel-Aktion öffnen sie das Gatter der Rinderfarm, um die Tiere zu befreien – die aber wollen sich gar nicht befreien lassen.
Dass „Fast Food Nation“ den Zuschauer so viel unbefriedigter zurücklässt als „Darwins Nightmare“ mag auch an den unterschiedlichen Genres von Spiel- und Dokumentarfilm liegen. Dabei bedient sich Hubert Sauper ebenfalls einer fiktionalen Ästhetik: Es ist die des Albtraums, die er mit seinen dunklen und körnigen Aufnahmen bewusst gegen das lichte Märchen einsetzt, das uns über den Segen der westlichen Standards vor allem im Hygienebereich der Nahrungsmittelindustrie erzählt wird, über die guten reinlichen Fabriken aus Europa, die dem Schmutz in Afrika den Garaus machen. In diesem lichten Märchen versteckt sich außerdem der Glaube, dass sich mit den sanitären Zuständen auch alles andere verbessert – bis hin zur politischen Machtverteilung.
Der Ekel als Ursprung von politischem Engagement spielt auch in „Fast Food Nation“ eine Rolle, allerdings weniger an den Stellen, an denen man es erwartet. Die Schlachthausszenen sind zwar nicht gerade schön, aber sie halten sich an den hygienischen Standard. Der eigentliche Ekel bleibt unbebildert: Greg Kinnear wird ausgeschickt, um zu untersuchen, warum im Burger-Fleisch der Fäkalienanteil so hoch ist. Es dauert erstaunlich lange, bis die Figur sich von dieser Feststellung abhalten lässt, in einen Burger der eigenen Produktion zu beißen. Davor noch sieht man ihn mit Lust einen verzehren, in den die Mitarbeiter in der Küche hineingespuckt haben. Das ist der Albtraum aller Besucher eines Fastfood-Restaurants.
Linklater macht aber auch daraus keinen großen Punkt. Es sind beiläufige Szenen. Bei Michael Moore, dem Meister des Empörungskinos, würde das ganz anders aussehen. Der Vergleich macht klar, was Linklater ganz offensichtlich nicht sein möchte: bloß nicht pathetisch! In unseren Ohren kommt die zwiespältigere Bedeutung des englischen Worts „pathetic“, das sowohl herzergreifend als auch erbärmlich heißt, noch schöner zum Ausdruck: Ist es doch von pathetisch bis lächerlich immer nur eine Nuance.
Linklaters Schwäche, der mangelnde Aktivismus seines Films, ist deshalb gleichzeitig seine Stärke: Er wendet sich nicht an eine Gemeinschaft von Eingeweihten, die Bescheid wissen. Er entlarvt nicht und verlässt sich nicht auf die politische Triebkraft der Empörung. Und gerade deshalb gelingt ihm ein Porträt der Strukturen in der Nahrungsmittelindustrie. Der größte Schrecken besteht darin, dass diese Strukturen sämtliche Lebensbereiche erfasst haben: von den schlechten Arbeitsbedingungen der Illegalen über die wenig besseren der Studenten bis hin zu den ebenfalls prekären der Chefetage. In seiner betonten Gelassenheit fordert Linklater den sachlichen Blick: Man darf sich nichts vormachen; irgendwo stecken wir alle bereits mit drin. Und ein bloßes Zeichensetzen wird nicht genügen. Empören müssen wir uns schon selbst, da hilft kein Kino.
„Fast Food Nation“. Regie: Richard Linklater. Mit Ethan Hawke, Greg Kinnear, Patricia Arquette, Catalina Sandino Moreno u. a. USA 2006, 113 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen