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Das Lichtbild wird zum Denkbild

Zwischen Auflösung und Refiguration liegt die Existenz des bewegten Bildes: Die Ausstellung „Kino wie noch nie“ in der Akademie der Künste geht dem bewegten Bild in Installationen, Fotografien, Filmausschnitten und Loops auf den Grund

VON EKKEHARD KNÖRER

Im 19. Jahrhundert waren Geisterfotografien sehr beliebt. Auf ihnen zeigen sich die Umrisse von Toten – als Spur des Mediums Fotografie selbst. Waren sie nicht einfach ein Doppelbelichtungs-Trick des Fotografen, entstanden die Gespenster als technische Verunreinigung auf dem Weg von der Aufnahme zum Abzug. Der Mensch sieht, was er sehen will, und nimmt als dahingegangenen Onkel, was bei nüchterner Betrachtung nur ein Fleck ist, ein Fehler im Material.

An solche Geisterfotografien erinnert eine Bildserie von Eric Rondepierre (s. o., Foto links), die jetzt in der von Antje Ehmann und Harun Farocki kuratierten Ausstellung „Kino wie noch nie“ zu sehen ist: Auf Postergröße aufgeblasene Stills aus auf dem Flohmarkt gefundenen Filmstreifen, die sich im Zustand der Materialzersetzung befinden. Die entstellten Bilder generieren jedoch sofort neue Erscheinungen: als taucherhelmartige Blase um den Kopf einer Darstellerin, als unheimlich sich defigurierende Bildbereiche, als Präsenz amorpher Geister und verschlierter Figuren.

Rondepierres Serie „Précis de décomposition-Scène“ bringt das Konzept der Ausstellung auf den Punkt: die Präsentation von nichts weniger als einer Typologie von möglichen Auflösungserscheinungen des Kinos. Das kann so aussehen wie in Gustav Deutschs enzyklopädischer Arbeit „Taschenkino“. Sie zerlegt das menschliche Leben in hundert kurze szenische Einstellungen, die in handtellergroßen grünen, von Beate Uhse fürs Pornofilmchengucken entwickelten Projektionsgeräten gezeigt werden. Oder es sieht so aus wie in Antje Ehmanns Montage-Serien. Auf Monitoren, die auf dem Boden stehen, und auf gläsernen Projektionsflächen, die frei im Raum schweben, sieht man in endlosen, durcheinander lärmenden Loops motivische Ausschnitte aus der Filmgeschichte – Frauen neben Telefonen, Blicke aus dem Fenster, Kamerafahrten nach links und nach rechts, Lachen und Weinen.

In diesen und anderen Arbeiten geht es stets um die analytische Beobachtung dessen, was erscheint und sichtbar wird, wenn der Kinofilm von selbst in seine Einzelbestandteile zerfällt oder von Künstler- und Kuratorenhand in sie zerlegt wird. Keineswegs nämlich verschwindet dabei das Kino. Wie ein zerstückelter Wurm lebt es weiter, gewinnt, als anderes und selbes, aus der Auflösung neue Form. In seinen Zerfalls- und Zerteilungszuständen findet es ein vorläufiges Zuhause freilich nicht im Kontext Kino, sondern im Kontext Kunst. Als einfach so von hier nach da transplantierbar aber stellen sich die Kuratoren das Kino nicht vor. So gibt es – mit einer Ausnahme – weder das sonst museumsübliche „black boxing“ des Bewegtbild-Erlebens noch, wie von Alexander Horwath für die diesjährige „documenta“ geplant, die „Normalfilm“-Präsentation von nachträglich der Kunstgeschichte angesonnenen Kinokunstwerken.

Was man sieht, schlägt aber auch nicht um in eine sich zum Werk verselbständigende videokünstlerische Produktion. Darauf insistierte Diedrich Diederichsen in seinem Eröffnungsvortrag. Die Zerlegungsarbeit der Analyse, die die Mehrzahl der in „Kino wie noch nie“ präsentierten Werke leistet, ist nicht zu trennen von der Lust an der Sammlung und Vorführung des dem Kino Gelungenen. Die tendenziell kapitalistische und werbeindustrielle Praxis der Fetischisierung von Partialobjekten gewinne so eine Art Unschuld zurück, die sich nicht zuletzt Befreiung von unmittelbaren Zwecken und Wirkungen verdankt.

Allerdings ist das kompilierende Verfahren, das einzelne Szenen aus alten Zusammenhängen reißt und in neue zwingt, ja nicht nur liebevoll, sondern auch rabiat. Die ihrer ursprünglichen Affekt- und Effektfunktionen beraubten Szenen verweisen als in Serie geschaltete Momente nun dreifach: ins Leere des verlorenen Kontexts, auf die vorangehenden und folgenden Szenen der Kompilation und nicht zuletzt auf sich selbst und ihren ikonischen Gehalt.

Die entscheidende Frage ist dann, wie man die aus ihrem Zusammenhang gelösten Bilder ins Ganze des Films und der Filmgeschichte behutsam wieder einordnet. Es bedarf dafür eines liebenden Wissens, das nicht klüger ist als das Kino, sondern aus dem Film selbst und seinen Bildern das herauskitzelt, was immer schon in ihnen steckt. Die Ausstellung führt schlagend vor Augen: Zwischen Bedeutungs-Entladung und -Neuaufladung einzelner Bilder, zwischen Vorführen und Erläutern, zwischen Schnitt und Montage, zwischen Auflösung und Refiguration liegt die Existenz des bewegten – in Wahrheit: in Bewegung gesetzten – Bilds.

Zum Leuchten bringt diesen Zwischenraum das attraktivste der Exponate, Nadim Vardags gänzlich unbewegtes Fenster (s. o., Foto rechts). Einsam steht ein Kasten mit Flügelfenstern im abgedunkelten Raum und blendet den Betrachter mit wattstarker Helligkeit hinter Milchglas. In diesem Quasi-Altarbild erstrahlt nichts als nur Licht. Ein Lichtbild als Denkbild. Noch kein Kino und schon keines mehr. Oder eben: Kino wie noch nie.

Die Ausstellung ist in der Akademie der Künste am Hanseatenweg noch bis zum 8. 7. zu sehen.

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