: Die große Abzocke
VON TARIK AHMIA
Die Anzeigen sind winzig, aber sie versprechen Rettung in höchster Not: „6000 Euro Kredit – ohne Schufa-Auskunft!“. Wenn gewünscht, mit „Sofortzusage in 30 Sekunden – keine Sicherheiten nötig!“ Kreditvermittler werben im Internet und in Zeitschriften mit Darlehen bis zu einer halben Million Euro – angeblich ohne die Kreditwürdigkeit der Kunden bei der Schufa zu prüfen.
Kann es Darlehen ohne die sonst unausweichliche Bonitätsprüfung eines Kunden geben? Denn normalerweise geht ohne Anfrage bei der „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (Schufa) gar nichts. Die Schufa, ein Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Kreditwirtschaft, hat Informationen über die „Kreditwürdigkeit“ von 63 Millionen Deutschen gespeichert.
Licht ins Dunkel bringt nun eine neue Schufa-Studie, deren Ergebnisse der taz vorliegen und die morgen veröffentlicht wird. Die Untersuchung räumt nicht nur mit dem Mythos von Krediten ohne Bonitätsprüfung auf, sondern dokumentiert die perfide Betrugsmasche unseriöser Kreditvermittler.
Christian Maltry ist im Hauptberuf seit 20 Jahren als Schuldnerberater tätig und einer der Autoren der neuen Studie. „Schufa-freie Kredite gibt es nicht“, bilanziert Maltry die Untersuchung. 20 ProbandInnen haben dafür unter ihrem Namen bundesweit bei Maklerfirmen insgesamt 125 Anfragen nach angeblich Schufa-freien Krediten gestellt. Allen TesterInnen war gemein, dass sie aufgrund ihrer finanziellen Situation bei „normalen“ Banken keinen Kredit mehr bekommen.
Das Echo der Makler auf die Testanfragen ist alarmierend. „Letztlich wurde nur in drei Fällen überhaupt ein konkreter Kredit angeboten“, fasst Maltry zusammen. Bei keiner der 125 Anfragen wurde ein Kredit ausgezahlt. Und: „Vier von fünf Angeboten der Kreditvermittler waren unseriös.“ Faktisch könne man davon ausgehen, dass es keine Schufa-freien Kredite gebe, sagt Schuldnerberater Maltry.
Ihr Werbeversprechen, Kredite ohne Bonitätsprüfung zu vergeben, revidieren die meisten Kreditmakler schon mit den ersten Angeboten: Nur 5 der 49 befragten Anbieter erklären ausdrücklich, keine Schufa-Abfrage zumachen. 20 Kreditmakler fordern im Kleingedruckten ihrer Vertragsbedingungen, die Antragsteller müssten einer Schufa-Anfrage zustimmen.
„Menschen, die in finanzieller Bedrängnis stecken wie Arbeitslose, Hartz-IV- Empfänger und Überschuldete gehören zur bevorzugten Zielgruppe der angeblich Schufa-freien Kredite“, sagt Hedwig Risch von der Forschungsstelle Wirtschaftskriminalität im Bundeskriminalamt (BKA). Für diese Kunden ist das „unbürokratische“ Angebot oft ein vermeintlich rettender Strohhalm: 394.000 Menschen gehen nach Schufa-Angaben so jedes Jahr in Deutschland den Betrügern auf den Leim.
Die meisten Firmen benutzen die Kreditangebote nur als Lockmittel. Ihr Geschäft machen die Makler meist mit Versicherungen, die sie den Opfern im Lauf des Kreditantrages verkaufen. „Wenn Sie das nicht unterschreiben, wird das Darlehen abgelehnt“, ist eine der Standardfloskeln, mit der die Kunden unter Druck gesetzt werden. Aus diesen Verträgen ergeben sich für die Kreditnehmer leicht Verpflichtungen von 1.000 Euro im Jahr. Sobald erst einmal die Verträge zum Schutz vor Unfall, Restschuld, Arbeitslosigkeit sowie Bausparverträge oder Mitgliedschaften in Einkaufsgemeinschaften unterschrieben sind, wird der Kreditwunsch abgelehnt. Häufig werden auch überzogene „Aufwandsentschädigungen“ und „Bearbeitungsgebühren“ in Rechnung gestellt. Auslagen und Provisionen sind laut Verbraucherkreditgesetz jedoch nur zulässig, wenn der Kredit an den Verbraucher auch tatsächlich ausgezahlt und die Auslagen im Detail nachgewiesen werden. Doch daran halten sich die wenigsten.
Am Ende der Abzocke stehen die Antragsteller ohne Darlehen, dafür aber mit noch mehr Schulden da: 400 Euro kostet jeden Einzelnen im Schnitt der Kreditantrag, hat die Schufa berechnet. Wird ein Inkassounternehmen zum Eintreiben des Geldes beauftragt, vervielfacht sich die Summe in kurzer Zeit. Mit der Masche erwirtschaften hunderte zwielichtiger Kreditvermittler in Deutschland jährlich mindestens 150 Millionen Euro.
Die Schufa-ProbandInnen wurden bei ihren Testanfragen mit einem ganzen Arsenal betrügerischer Tricks konfrontiert. Für Kunden, die es wirklich eilig haben, versprechen Maklerfirmen gegen 40 Euro „Schnellbearbeitungsgebühr“ eine „Entscheidung innerhalb von zwei Stunden“. Anke Bode* aus Stuttgart hatte mehr Zeit. Die gelernte kaufmännische Angestellte erkundigte sich bei einigen Internet-Brokern nach einem Darlehen über 50.000 Euro. Ein Unternehmen schickte Anke Bode die Antragsunterlagen als Nachnahme-Sendung: 380 Euro Gebühren waren dafür fällig. Weil sie den Brief nicht annahm, drohte die Firma: „Sollten Sie wissentlich Vertragsunterlagen angefordert haben, obwohl Sie die Bearbeitungsgebühr nicht aufbringen können, stellt dies eventuell den Straftatbestand des Betruges dar.“ Manch einer hätte aus Furcht gezahlt. Ein anderes Unternehmen schickte ihr gleich zwei Versicherungsvertreter ins Haus. „Die beiden haben mich total zugetextet“, beschreibt Anke Bode die denkwürdige „Autogrammstunde“ gegenüber der taz. Am Ende hatte sie Verträge für eine Restschuldversicherung, Unfallversicherung und eine Beteiligungsgesellschaft unterschrieben. Außerdem wurden 70 Euro für den Hausbesuch und pauschal 150 Euro „Gebühren“ berechnet – beides ist illegal. Ein Kredit wurde trotz aller Versprechungen nicht gewährt.
Ähnlich erging es Esin Albay* aus Berlin, die in diesem Frühjahr ebenfalls Testanfragen verschickte. Auch sie hatte nach einem Hausbesuch der Kreditvermittler fünf Ratenverträge unterschrieben, ohne die „eine Bearbeitung nicht möglich“ sei. 468 Euro Gebühren verlangte die Maklerfirma dann für die Vertragsunterlagen per Nachnahmesendung, begleitet von der frohen Nachricht: „Ihr Antrag wurde positiv beurteilt. Die Auszahlung erfolgt, sobald die Gebühren bezahlt sind“. Albay lehnte ab. Geld hätte sie wahrscheinlich nie gesehen, denn das Unternehmen hatte von ihr nicht einmal einen Verdienstnachweis angefordert. Bemühungen der taz, das zu den Branchenführern zählende Unternehmen zu seinen Geschäftspraktiken zu befragen, verliefen im Sande: Auf eine schriftliche Anfrage der taz in der vergangenen Woche reagierte die Firma nicht. Auch wiederholte Telefonate brachten nichts: es meldet sich nur ein Callcenter. „Das Ganze war eine kriminelle Abzocke“, glaubt Albay heute.
Die Masche setzt sich mit teuren 0900-Nummern fort: „Nur noch ein Anruf trennt Sie von ihrem Kredit. Verlangen Sie mich persönlich“, schreiben angebliche Geschäftsführer von Maklerfirmen Kreditsuchende an. Der Aufforderung ist die Schufa-Probandin Nathalie Lukas* aus Hessen gefolgt. Bei der Nummer meldete sich für zwei Euro in der Minute ein Callcenter mit minutenlangen Warteschleifen und freundlichen Damen, die in einer langen Prozedur die bereits gespeicherten Kundendaten neu erfassten. Anschließend hieß es, „Herr Baumgärtner“ sei gerade in einer Besprechung. Insgesamt fünfmal rief Nathalie Lucas bei „Herrn Baumgärtner“ an und verbrachte gut 30 Minuten in der teuren Leitung. Am Ende wurde sie sogar zu einem männlichen Mitarbeiter durchgestellt, der ihr kurz und bündig erklärte, ihr Kreditantrag sei abgelehnt.
Über die schmutzigen Tricks illegaler Kreditvermittler berichtet heute Abend um 19.20 Uhr auch das ZDF-Magazin Wiso. Darin geht es auch um die Verstrickungen der Branche mit Großunternehmen und den schwunghafter Handel mit Adressen von Menschen, die dringend nach finanzieller Hilfe suchen.
Die Branche der betrügerischen Kreditvermittler boomt. Das spiegelt auch die wachsende Zahl der Strafanzeigen gegen Kreditmakler wider: Sie hat sich zwischen den Jahren 2004 und 2006 von 1.289 Fällen auf 5.530 Fälle mehr als vervierfacht. Doch rechtlich ist gegen die Kredit-Abzocker derzeit nicht viel auszurichten. Zwar ist es verboten, von Kreditnehmern Geld zu verlangen, ohne dass der Kredit ausgezahlt wird. „Die Klientel ist aber ebenso leichtgläubig wie wehrlos“, sagt der Wirtschaftsrechtler Hugo Grote von der Fachhochschule Ahr-Remagen. Zivilrechtlich seien die Forderungen der Firmen meist angreifbar, so Grote. „Praktisch ist die Rückforderung des Geldes aber meist unmöglich, weil der rechtliche Nachweis aufwendig und schwierig ist.“ Grote hält ein gesetzliches Verbot für nötig, so dass Kreditmakler ihren Kunden „Gebühren“ und „Auslagen“ nicht mehr in Rechnung stellen dürfen.
Auch strafrechtlich fällt es den Behörden schwer, den Kreditsumpf trockenzulegen. Denn die Opfer zeigen die Betrüger so gut wie nie an. „Die Leute geben lieber einen Bordellbesuch als einen Finanzbetrug zu“, sagt Hugo Grote.
Dort, wo die Polizei ermittelt, entdeckt sie Strukturen organisierter Kriminalität. Fünf Jahre lang warb etwa das Brandenburger „Finanzzentrum Wittenberg“ mit „Bargeld ohne Verwendungsnachweis und bei negativer Schufa“. In den derzeit laufenden Ermittlungen gegen 10 Verdächtige des „Finanzzentrums Wittenberg“ identifizierten die Behörden 5.930 Geschädigte. Davon wurden 2.000 Opfer in dem Verfahren angehört. Die Gesamtzahl der Betrogenen schätzt die Staatsanwaltschaft Potsdam allein in diesem Fall auf 25.000. Jedes von ihnen wurde um 200 bis 700 Euro geschädigt. Die Auswertung durch die Staatsanwaltschaft steht nun kurz vor dem Abschluss.
Häufig übersteigen die aufwendigen Ermittlungen gegen die Finanzmafia schnell die personellen Kapazitäten von Polizei und Staatsanwaltschaften. „Die Ermittlungserfolge wären größer, wenn in diesem Bereich mehr qualifiziertes Personal bei den Ermittlungsbehörden eingesetzt würde“, sagt Hedwig Risch vom BKA.
Doch auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen machen es den Gaunern leicht, denn bis heute gibt es keine wirksame Aufsicht für Kreditvermittler. Anders als etwa Versicherungsvermittler fallen Kreditvermittler nicht unter die Aufsicht des Bundesamtes für Finanzdienstleistungen. Kreditvermittler müssen auch keine Prüfung ablegen, in der sie ihre Fachkunde nachweisen und sich registrieren lassen, so wie dies Versicherungsmakler tun müssen. „Das muss auch unbedingt für Kreditvermittler gelten“, fordert Wirtschaftsrechtler Hugo Grote. Doch das kann dauern, denn die Lobby der 400.000 betrogenen Armen ist nicht eben groß.
* Name von der Redaktion geändert
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