piwik no script img

An dieser Fleischtheke kauft Merkel ihre Gans

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Supermarkt Ullrich in der Berliner Mohrenstraße shoppt die Kanzlerin. Was macht den Ort aus?

In Berlin kann einem der Glauben an den Supermarkt abhanden kommen. Die kleinen Läden mit ihrem ungefegten Boden und den vollgestellten Gängen sind, egal wo man wohnt, viel zu nah gelegen, um sie ganz zu meiden. Dennoch dreht man instinktiv die Butter im Kühlregal um, um sich das Haltbarkeitsdatum genauer anzusehen. Und das Fleisch rührt man nicht nur aus ethischen Gründen nicht gern an. Wie gut müssen es diejenigen haben, die dank finanziellen Überschusses nur in Spezialitätengeschäften und Reformhäusern einkaufen, und wenn es sie mal in einen Supermarkt verschlägt, dann nur in den der Galeries Lafayette.

Aber wie weit muss man es bringen, bevor man dem Supermarkt Adieu sagen kann? Ab wann steht man jenseits der Normalität des Supermarktes? Für einen Lottogewinner kann es fast keine bessere Kaschierung des plötzlichen Reichtums geben, als sich bei Edeka nach dem zweitbilligsten Marmeladentöpfchen zu bücken. Auch Politiker nutzen die Realität des Durchschnittsverbrauchers gerne aus, um sich ein volksnahes Mäntelchen der Normalität überzuziehen. Ein naheliegender Ort zwischen medienwirksamer Inszenierung und Deckung des täglichen Bedarfs ist für Politiker der Ullrich-Supermarkt am westlichen Ende der Mohrenstraße in Berlin-Mitte. Hier kaufe Kanzlerin Angela Merkel (CDU) leibhaftig, teilte der Spiegel unlängst mit.

Der Laden versteckt sich im Erdgeschoss und Keller einer abgeranzten bräunlichen Edelplatte. Das blau-rote „Ullrich“-Logo wirkt billig-marktschreierisch im Vergleich zu den gedeckten Farben der Umgebung.

Wie geneigt man doch ist, dieses Zwitterwesen aus Discounter und gehobenem Sortiment wegen vermeintlicher Ramschigkeit zu meiden. Auch der Eingangsbereich, in krasses Neonlicht gebadet, vermittelt einen schäbigen Eindruck. Die Kunden tragen nicht dazu bei, diesen Einruck abzuschwächen. Im Gegenteil, ein trauriges Völkchen in Stasi-grau gemusterten Hemden, den Perlonbeutel gegen bunte Jute eingetauscht, schleicht durch die breiten Gänge. Nur ein einziger Anzugträger, der nach Regierungsgewalt aussieht, sich aber als Referent eines Wirtschaftsverbandes entpuppt, hetzt durch die ausufernde Weinabteilung.

Ja. Zweimal im Monat, sagt die freundliche Bedienstete, komme Angela Merkel mit ihren Bodyguards vorbei. Man stellt sich das so vor: Die Kanzlerin schiebt ihren Einkaufswagen, fährt die Rollbänder in den Keller hinab und greift zielsicher zum probiotischen Joghurt.

Uns verfolgt kein Bodyguard, sondern der Ladendetektiv, ein dunkelhaariger Mann im Hawaiihemd, der mit Rucksack und Jacke in das Geschäft kam, nun aber beides verloren zu haben scheint. Stattdessen hält er mal die Vollkornnudeln aus dem breiten Biosortiment im Erdgeschoss in der Hand oder er beäugt die Wischmobs, ohne den BHs im Regal gegenüber Beachtung zu schenken. Im Teeregal im Keller gibt es sogar entkoffeinierten Tee; hier lernt der Detektiv wahrscheinlich die Sorten auswendig.

Jetzt kommen wir zur Fleischtheke. Hier hat Merkel ihre Gans für das Silvestermahl gekauft. Hier nimmt Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gerne mal eine Frikadelle mit. Diese Informationen stammen von einer netten und trotzdem normal gebliebenen Frau, die gerade die Tiefkühlregale einsortiert. Ein weiterer Kunde hier sei Detlef Soost, bekannt als D!, der Schikaneur aus einer Popstars-Castingshow. Welch ein Zusammentreffen wäre das, wenn Merkel und Soost aufeinander träfen. Würde D! die Merkel wegen ihrer schlechten Haltung schelten?

Es gibt im Berliner Regierungsviertel wenige Orte, die von solch ausgeprägter Normalität sind wie der Ullrich-Supermarkt an der Mohrenstraße. Es ist wohl eher das, was ihn für die Mächtigen der Politik interessant macht, als das beeindruckend lange Champagner-Regal.

SUPERMARKT DER HIT ULLRICH, Mohrenstr. 67–69, 10117 Berlin-Mitte, Tel. (0 30) 2 26 68 00, www.ullrich- online.de, U Mohrenstraße, Mo.–Fr. 8–20 Uhr, Sa. 7.30–20 Uhr, Vollmilch 0,66 €, Weetabix (24 Stück) 2,99 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen