Bombenanschlag im Zentrum von Ankara

Bei einem Selbstmordattentat werden sieben Menschen getötet und über hundert verletzt. Türkische Polizei macht die kurdische Separatistenorganisation PKK für die Tat verantwortlich. Acht Personen werden vorläufig festgenommen

Es gibt Anzeichen für eine Ausweitung der Kämpfe zwischen der PKK und dem Militär

BERLIN taz ■ Ein Selbstmordattentäter ist nach Angaben der Behörden für das schwere Attentat am Dienstagabend in der türkischen Hauptstadt Ankara verantwortlich. Der Gouverneur der Hauptstadt teilte mit, dass es sich dabei wahrscheinlich um einen 28-jährigen Mann, Kemal Önal, handelt, der bereits einmal wegen Propaganda für die kurdische Separatistenorganisation PKK zwei Jahre im Gefängnis saß. Der Mann sei anhand von Leichenresten über eine DNA-Analyse identifiziert worden.

Bei dem Anschlag waren außer dem Attentäter sechs Menschen getötet und über hundert verletzt worden. Rund ein dutzend liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Der Attentäter hatte sich auf einem belebten Platz vor einem Kaufhaus im Zentrum der Stadt in die Luft gesprengt. Die Polizei vermutet, dass der Anschlag einem Museum in der Nähe gegolten hat, wo zur selben Zeit ein Empfang für Besucher einer Militärmesse stattfand. Mehrere pakistanische Besucher, die auf dem Weg zu dem Messeempfang waren, wurden bei dem Attentat verletzt.

Aufgrund der Identifizierung des mutmaßlichen Attentäters und des bei dem Anschlag verwendeten Plastiksprengstoffes, geht die Polizei davon aus, dass die PKK oder die so genannten Freiheitsfalken (TAK), eine Unterorganisation der PKK, für den Anschlag verantwortlich sind. Der Plastiksprengstoff soll wie bei früheren Anschlägen der TAK aus dem Nordirak stammen.

Türkische Zeitungen berichteten gestern, die Polizei habe noch in der Nacht acht weitere Verdächtige verhört. Die Männer seien aufgrund von Videoaufzeichnungen, die von Kameras außerhalb des Einkaufszentrums gemacht worden waren, identifiziert und vorläufig festgenommen worden. Das vierstöckige Einkaufszentrum war durch die Wucht der Detonation teilweise eingestürzt. „Hier spielen sich schreckliche Szenen ab“, sagte ein entsetzter Bürgermeister Melih Gökcek Dienstagnacht im Fernsehen.

Premier Tayyip Erdogan, der noch am Dienstagabend an den Ort des Attentats eilte, sagte anschließend, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen könne der Terror jeden überall treffen. Auch Generalstabschef Yasar Büyükanit sprach davon, dass ein ähnliches Attentat in jeder größeren türkischen Stadt passieren könne.

Der Anschlag kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Türkei sowieso in einer politisch angespannten Situation befindet. Die Krise um die Wahl eines neuen Staatspräsidenten hat den Graben zwischen der laizistischen und der religiös orientierten Bevölkerung vertieft. Seit Wochen demonstrieren an jedem Samstag in einer anderen Stadt Hunderttausende für „ihre laizistische Republik“ und gegen eine befürchtete Islamisierung der Türkei. Dazu kamen in diesem Jahr mehrere politische Morde. Zuletzt wurde drei Missionare in der anatolischen Stadt Malatya regelrecht hingerichtet.

Sollte das Attentat in Ankara tatsächlich auf die PKK zurückgehen, wäre das ein Indiz für eine weitere Eskalation – dieses Mal quer zu der ideologischen Polarisierung. Allerdings mehren sich auch seit Monaten die Anzeichen für sich ausweitende Kämpfe zwischen der PKK und dem Militär im Südosten des Landes, entlang der Grenze zum Irak.

Die türkische Regierung wirft den Verantwortlichen im Nordirak vor, die PKK nicht daran zu hindern, vom Nachbarland aus in die Türkei einzusickern, um dort das Militär und andere staatliche Einrichtungen anzugreifen. Die Armee hat 60.000 Mann an der Grenze stationiert, über eine Militärintervention in den Nordirak ist immer wieder diskutiert worden. Am Tag vor dem Anschlag wurde zudem gemeldet, dass die legale kurdische Partei DTP sich entschieden hat, für die Parlamentswahlen am 22. Juli keine Kandidaten aufzustellen, weil das Wahlverfahren unabhängige Kandidaten benachteiligt. Damit wäre erneut eine Chance vertan, den Dauerkonflikt mit der kurdischen Minderheit politisch zu lösen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

meinung und diskussion SEITE 11