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Auf geht’s, Tiger!

NEUJAHRSFEST Für Chinesen und Vietnamesen in Berlin hat am Wochenende das Jahr des Tigers begonnen. Am und im Hauptbahnhof spendierte die chinesische Botschaft eine Feier – und präsentierte ihre Sicht auf die Welt

VON MARINA MAI

Samstagabend auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof. Ein paar Trauben von Hertha-Fans kommen direkt vom Spiel und mischen sich unter die rund 4.000 schaulustigen Berliner: Die Deutsche Bahn und die chinesische Botschaft haben zu einem chinesischen Kulturprogramm mit rund 50 Artisten, Tänzern und Kung-Fu-Meistern sowie einem riesigen Feuerwerk geladen. Sie begrüßen damit das Jahr des Tigers.

Nach dem in China und Vietnam traditionellen Mondkalender begann am späten Samstagabend ein neues Jahr. Das Neujahrsfest, das in China Frühlingsfest und in Vietnam Tet-Fest heißt, ist ungefähr so wichtig, als würden in Mitteleuropa Weihnachten, Silvester und die Geburtstage aller Familienmitglieder zusammenfallen. Die meisten der rund 13.000 Vietnamesen und rund 6.000 Chinesen Berlins nehmen seit Samstag eine viertägige Auszeit vom Alltag und verbringen diese Zeit im Kreis ihrer Familie.

Auf keinem Tisch darf dabei der aufwendig bereitete Klebreiskuchen fehlen. Der schmeckt nicht etwa süß, sondern ist mit Fleisch, Bohnen und Ei gefüllt. Auf dem Ahnenaltar, den fast jede vietnamesische Familie im obersten Fach einer Schrankwand oder auf einem Regal platziert hat, werden zum Fest den Ahnen Früchte, Räucherstäbchen und ein Huhn mit Kopf und Krallen geopfert. Beim Feiern sollen die Vorfahren in der Familie zu Gast sein. Es ist Zeit, den Kindern von ihren Urgroßeltern zu erzählen.

Während nach der fernöstlichen Mythologie das vorangegangene Büffeljahr arbeitsreich und stetig war, gelten Tigerjahre als unruhig und turbulent, energiereich und abenteuerlustig (siehe Text unten). Dieselben Eigenschaften werden in der unter fernöstlichen Zuwanderern in Deutschland weit verbreiteten Mythologie auch Menschen zugeschrieben, die in Tigerjahren geboren werden.

Vor dem Hauptbahnhof ist der 13-jährige Kreuzberger Marcel Yilmaz gerade mit seiner Kung-Fu-Schule mit einem Löwentanz aufgetreten; jetzt beobachtet er die Kung-Fu-Meister, die eigens aus China eingeflogen wurden. In der dicken Menschentraube steht er zwischen afrikanischen Migranten, koreanischen Touristen und enttäuschten Hertha-Fans. Der Sohn türkischer und deutscher Eltern liebt den Löwentanz. „Der Löwe steht doch für Kraft“, sagt er.

China will mit der Show sein Image im Ausland aufbessern. „Viele kennen von der chinesischen Kultur doch nur Ente kross und Ente süßsauer“, sagt der Moderator von der Deutschen Bahn. Und vielleicht noch das Attentat auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Doch das sagt er nicht.

Nach dem Löwentanz lassen zwei Musiker die Zither erklingen, und auf den Monitoren im Hauptbahnhof wechseln sich Bilder von allerlei Touristenattraktionen im Reich der Mitte ab: Die Große Mauer, die Verbotene Stadt, das Mao-Mausoleum und Seen voller Seerosen. Dazu gibt es Broschüren über das Tourismusland China und die chinesische Sicht auf die Welt. Ganz uneigennützig hat die chinesische Botschaft den Berlinern das Frühlingsfest nicht geschenkt.

Eine Etage tiefer bieten chinesische Kunsthandwerker ihre Waren an. Das Neujahrsfest ist im Kommerz angekommen. Neben künstlerisch anspruchsvoller Seidenmalerei und Kalligrafie ist viel Kitsch darunter. „Haben Sie das selbst gemacht?“, will eine Berlinerin von dem Mann wissen, der Modeschmuck verkauft, und zeigt auf einen Ohrring. Der Chinese zeigt zwei Finger. Zwei Euro soll das heißen. Das ist der Preis für den Ohrring. Dass eine Deutsche etwas anderes als den Preis erfragen könnte, darauf ist er nicht vorbereitet.

Inzwischen hat der chinesische Botschafter Grußworte an die Berliner gerichtet. Das Feuerwerk kann starten. Ein paar Schaulustige beginnen zu modernen Rhythmen aus China zu tanzen. Und vielen Hertha-Fans zaubert das Feuerwerk wieder ein Lächeln ins Gesicht.

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