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Archiv-Artikel

Knebelverträge in der Pflegebranche

SPANIER IN BRANDENBURG Eine 23-jährige Pflegerin möchte kündigen. Das würde 7.000 Euro Strafe kosten, weil sie einen Sprachkurs bekam. Das ist illegal, so Ver.di

Marisa kann Magensonden legen und Dauerkatheter. Drei Jahre hat sie studiert, zuvor Abitur gemacht, ist hoch qualifiziert. Und doch darf die 23-Jährige die Arbeit, die für spanische Pflegekräfte Standard ist, in ihrem Job nicht übernehmen. „In Deutschland macht das ein Arzt“, sagt Marisa. Sie wäscht stattdessen Epileptiker, misst Blutdruck bei Parkinson-Kranken, Vitalzeichen bei Hirninfarkt-Patienten – und macht das gern. „Die Arbeit hier ist nicht so spannend, aber sie ist wichtig“, sagt sie.

Wichtig für Marisa, die in ihrer Heimat, 2.400 Kilometer entfernt, keine Chance auf eine Stelle hatte, weil im Gesundheitswesen infolge der Krise stark gekürzt wurde. Freunde hätten für 15 Tage oder einen Monat Arbeit gefunden, erzählt Marisa, die sich diesen Namen ausgedacht hat, um anonym zu bleiben. „Aber von einem Monat Arbeit im Jahr kann man nicht leben.“

Wichtig aber auch für die neurologische Rehabilitationsklinik in Beelitz bei Berlin, mitten im Wald. „Egal wie Sie suchen, Sie finden keine Pflegekräfte in Deutschland mehr“, beklagt Georg Abel aus der Klinik-Geschäftsführung. 30.000 Pflege-Stellen sind bundesweit unbesetzt. Für die Kliniken ist die Eurokrise in diesem Punkt ein Glücksfall. So arbeiten inzwischen 60 Fachkräfte aus Spanien, Polen, Ungarn und Bulgarien in Beelitz. Sie würden genauso bezahlt wie deutsche Pfleger, sagt Abel. Er hat Wohnungen einrichten lassen, gibt Geld für Heimatbesuche, hat extra eine Integrationsbeauftragte eingestellt.

Heimweh und ein Job

Doch Marisa möchte nach Spanien zurück. Wieder die Arbeit machen, für die sie studiert hat. Heimweh spielt auch mit. Und da beginnt das Problem: „Wir können nicht zurück“, sagt die 23-Jährige. Sie hat einen Vertrag über drei Jahre. Bis zu 7.000 Euro müsse sie zahlen, wenn sie früher raus wolle, sagt sie und zeigt die entsprechende Klausel. Denn als sie in Deutschland anfing, stellte die Klinik sie für einen von der EU bezahlten Sprachkurs frei. Damit sich das auszahlt, soll sie 36 Monate bleiben – oder zahlen. Und das kann Marisa nicht.

Es gebe Unternehmen mit Kündigungsgebühren von 10.000 Euro, weiß Ver.di-Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel. Er hält die Klauseln nicht für rechtens. „Ohne Sprachkurs wird das Studium nicht anerkannt. Hier werden Migrationskosten genutzt, um Pflegekräfte an das Unternehmen zu binden“, kritisiert er. Beschäftigte aus sieben Betrieben haben sich an Ver.di und den DGB gewandt.

Verglichen mit ihren Geschichten erscheinen Gehalt und Arbeitsbedingungen in der Beelitzer Klinik vorbildlich. Zwar wurde Marisa nach eigener Aussage trotz bestandenem Sprachtest noch monatelang als Hilfskraft bezahlt. 500 Euro weniger im Monat, das habe sie schon gespürt. Im Winter stieg sie um 5 Uhr morgens aufs Fahrrad, weil es den versprochenen Bus nicht gab. „Und wir wussten auch nicht, dass wir die Aufgaben einer Putzfrau machen müssen“, kritisiert ihre Kollegin Laura. Doch Klinik-Manager Abel entgegnet, die Verträge seien alle ins Spanische übersetzt worden.

Andere Pflegekräfte aber, beispielsweise bei der Gesellschaft für medizinische Intensivpflege (GIP), arbeiten laut Kunkel Zwölf-Stunden-Schichten ohne Möglichkeit auf Pause – trotz hervorragender Ausbildung mit einer Bezahlung gerade über dem Pflege-Mindestlohn von 9 Euro. Für den Arbeitgeber sei das ein gutes Geschäft, denn das Geld für den Sprachkurs sei lange vor Ablauf der 18 Monate Vertragslaufzeit wieder drin, meint Kunkel. Die GIP weist Knebelvertrag-Vorwürfe zurück: Die meisten spanischen Pflegekräfte seien Berufsanfänger. Die Ausstiegsklausel sei nötig, um die Investition zu „schützen“.

Marisa hat trotz der Klausel die Reißleine gezogen. Im September geht sie zurück nach Spanien, sie hat einen Job ergattert. Erst mal zumindest. Und das Geld? „Das zahle ich nicht. Wie auch?“ THERESA MÜNCH, DPA