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Archiv-Artikel

berlinale szene Kinderliebe

Bulgarien in Hellersdorf

Potsdamer Straße am Taxistand. Ein Mann öffnet meine Beifahrertür und fragt auf Englisch, ob ich die Boizenburger Straße kenne. Ich wälze den Stadtatlas und finde die Straße – in Hellersdorf. Das sei weit draußen, erkläre ich, ungefähr 25 Euro.

Es sei verrückt, daraufhin der Mann, aber er suche eine Frau von früher. Die wohne da vielleicht noch. Was ich davon hielte? Viel halte ich davon: eine sehr romantische Geschichte, die einem sehr armen Kutscher sehr viel Geld bringen wird.

Er ist ein bulgarischer Programmdirektor, der im Rahmen der Berlinale Filmrechte kauft. 1990 lernte er bei einem Jugendlager in Michendorf Anja kennen. Sie waren dann zusammen am Reichstag beim Pink-Floyd-Konzert. Jetzt möchte er sie wiedersehen, besitzt aber nur die alte Adresse ihrer Eltern. Zumindest werde es eine interessante Erfahrung, scherzt er und lacht selbst über meinen Einwurf, das absehbare Ergebnis sei doch immerhin ein feiner Kaurismäki.

Es wird ein sehr feiner Kaurismäki: ein verschneiter Plattenbau und des Mädchens Name nicht am Klingelschild. Ich läute für ihn bei der einzigen Partei, wo um diese Zeit noch Licht brennt, und frage freundlich, ob die Frau Soundso bekannt sei. „Nee – kenn wa nüsch“, zickt eine juvenile Mandystimme. Danke. Zum halben Preis bringe ich ihn zurück. Er war 15, sie 14. „A children’s love“, murmelt er nachdenklich in das Schneetreiben hinein.

ULI HANNEMANN