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Archiv-Artikel

die hummel von CORINNA STEGEMANN

Ich sehe dem Winter erfreut entgegen, nährt doch sein Nahen die Hoffnung, meine unheimliche Begleiterin endlich wieder loszuwerden. Bei dem anhänglichen Geschöpf handelt es sich um nichts weiter als eine ganz normale Hummel, wie jeder Mensch sie kennt. Zwar um ein außergewöhnlich großes Exemplar, aber ansonsten unterscheidet sie äußerlich nichts von ihren Artgenossen.

Dennoch ist ihr Verhalten ungewöhnlich und beängstigend, denn seit dem vergangenen Sommer weicht sie nicht von meiner Seite, immer schwirrt sie um mich herum. Wo ich auch gehe oder stehe, was ich auch tue – sie ist da. Sogar unter die Dusche folgt sie mir, und in Bus oder Bahn. Es ist beinahe so, als sei sie ein Teil von mir geworden. Zwar sticht oder beißt sie nicht, nein, sie ist wirklich sehr friedlich und liebt es am meisten, sich auf meiner Schulter ruhend herumtragen zu lassen – dennoch ist sie mir unangenehm.

Angefangen hatte es im Juni auf dem Weg zur S-Bahn. Plötzlich war sie da. Erst lachte ich noch über den drolligen Brummer, der mich zu mögen schien – es war aber auch ein zu putziges Szenario –, und ich dachte, ein lustiger Zufall habe die Hummel an meine Seite gebracht und schon bald werde sie wieder verschwinden. Ich gestattete ihr auch, ein Weilchen auf meinem Arm zu ruhen. Spätestens wenn ich in die Bahn steigen würde, wollte ich sie fortjagen. Doch daraus wurde nichts, sie ließ sich einfach nicht verscheuchen. Mit sanfter Gewalt zog ich sie kichernd und kopfschüttelnd von meinem Arm und warf sie in die Luft, rief ihr noch ein freundliches „Adieu“ zu und stieg in den Waggon. Und wie staunte ich, als ich es mir gerade bequem gemacht hatte und ein Buch hervorkramte, wie staunte ich da, als meine Hummel mir wieder um den Kopf schwirrte. Sie war mir unbemerkt gefolgt und seither ist sie da.

Ich weiß nicht, wovon sie lebt, ich habe alle Blumen aus meiner Wohnung verbannt, um es ihr nicht noch behaglicher zu machen, nie sah ich sie etwas fressen, auch scheint sie niemals zu schlafen. Immer ist sie wachsam, stets hat sie mich im Auge, nie gibt sie mir Gelegenheit, sie abzuhängen oder mich vor ihr zu verstecken.

Sie scheint auch kein bestimmtes Ziel zu verfolgen, das Ummichherumschwirren scheint ihre einzige Bestimmung zu sein. Oft ist sie mir peinlich, denn selbstverständlich fällt sie auch den Kollegen im Büro auf, und ein Schaffner in der Eisenbahn musste gar in seinem Handbuch nachsehen, ob es irgendwelche Bestimmungen zum Transport von Hummeln im Fernverkehr der Deutschen Bahn gebe. „Hunde und Katzen“, so sprach er, „müssen in den dafür vorgesehenen Transportboxen befördert werden, aber über Hummeln finde ich nichts.“

Ich habe mich nun in mein Schicksal ergeben, hoffe aber, wie gesagt, dass der Winter ihr den Garaus machen wird und ich wieder ein normales Leben führen kann. All ihre Artgenossen sind schon aus der Landschaft verschwunden, erfroren, verhungert – was weiß ich …

Ich bete zu allen Göttern und Dämonen, dass sie mich endlich von diesem merkwürdigen Fluch, denn nichts anderes kann es sein, befreien. Und die Hummel schaut mir dabei zu.