ZWISCHEN DEN RILLEN
: Im Hier und Jetzt verankert

Martyn: „The Air Between Words“ (Ninja Tunes/Indigo)

Als Dubstep vor fünf Jahren zum spannendsten Schmelztiegel der elektronischen Clubmusik avancierte, lag das maßgeblich an Martijn Deykers alias Martyn. Mit seiner Fusion von Dubstep und Techno hatte der in Washington, D.C., lebende Niederländer einen der Grundsteine für die kreative Explosion gelegt, die die Clubwelt Ende der nuller Jahre in Aufregung versetzte.

Wie im Zeitraffer konnte man damals die fiebrige Weiterentwicklung des Genres mitverfolgen. Man hatte das Gefühl, dass alle zwei Monate eine Soundmutation die nächste jagte und schon bald reichte Dubstep ob der stilistischen Vielfalt als Klammer nicht mehr aus. Bass-Musik und Post-Dubstep waren nur zwei der vielen, fast hilflosen Versuche, die unterschiedlichen musikalischen Ansätze mit einem Begriff zu fassen zu kriegen.

Mittlerweile haben sich die Wogen wieder geglättet. Nach Jahren des atemlosen Experimentierens und Zusammenschmeißens hat jeder seine Nische gefunden. Die meisten, vor allem die, die Woche für Woche als DJs unterwegs sind, haben sich verstärkt klassischem House und Techno zugewendet. Auch Martyn.

Mit „The Air Between Words“ hat er gerade sein wunderbares drittes Album veröffentlicht, seinem ersten für das sich gerade neue erfindende Londoner Traditionslabel Ninja Tune. Ähnlich wie viele seiner Dubstep-Mitstreiter hat auch Martyn sich mehr denn je auf ein Genre eingeschossen, ja, man kann „The Air Between Words“ guten Gewissens als House-Album bezeichnen. Was Martyns House-Entwurf allerdings von den breitbeinigen britischen 90s Revival-Tracks unterscheidet, die zurzeit in Clubs (und dank Disclosure auch in den Charts) so omnipräsent sind, ist sein Umgang mit dem musikalischen Erbe von House.

Bei aller Oldschool-Attitüde und Rave-Nostalgie, die man schon immer in seinen Tracks finden konnte, hat er sich noch nie damit begnügt zu zitieren und Vergangenes möglichst detailgetreu zu reproduzieren. Und so ist „The Air Between Words“ fest im Hier und Jetzt verankert.

Es klingt nach 2014, nicht nach 1994. Die zehn Tracks strahlen einen angenehm grobkörnigen und rohen Glanz aus. Das trifft vor allem auf die clubbigen Stücke zu. Wie zum Beispiel auf den wundervoll trippigen Bleep-Track „Drones“, in dem Martyn swingende Drums und jazzige Klavierakkorde mit einer zwitschernden Acidsequenz kollidieren lässt. Oder bei „Like That“, ein basswuchtig pumpender Track, der von einem Rare-Groove-Thema in ekstatische Höhen getragen wird. „Glassbeadgames“, die vorab als Single ausgekoppelte Kollaboration mit Kieran Hebden alias Four Tet ist auch so ein Beispiel.

Bei aller ausgestellten Vorliebe für House als Arbeitsmatrix, wäre Martyn nicht Martyn, wenn er sich nicht hier und da in andere musikalische Gefilde verabschieden würde. Zum ersten Mal in der Mitte des Albums. Im wundervollen „Love Of Pleasure“ lässt er Inga Copelands sirenenhafte Vocals über ein dubbiges Bassfundament und melancholische, sonnengebleichte Synthieflächen schweben.

Auch an anderer Stellen (in dem aus drei Teilen bestehenden „Forgiveness“) taucht der Gesang der ehemaligen Hype-Williams-Sängerin noch einmal auf. Dort aber in Form von stark bearbeiteten Sample-Fetzen. „Love Of Pleasure“ markiert auf jeden Fall einen der Höhepunkte des Albums, in dem fast jeder Track die A-Seite einer Maxi sein könnte. Und wer weiß, vielleicht ist Martyns Flirt mit House-Musik bald schon wieder vorbei. Ein Grund mehr, „The Air Between Words“ zu genießen. SVEN VON THÜLEN