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Archiv-Artikel

Ballerspiele im Notfall auf den Index

Wissenschaftler, Politiker und Spielerprofis raten,Ego-Shooter-Programme genauer zu beobachten

BERLIN taz ■ Nach dem glimpflich verlaufenen Amoklauf in Emsdetten geraten die so genannten Killerspiele mehr und mehr unter Kritik. Sogar die Spielerszene äußert sich skeptisch zu Inhalten und Verkaufsmodalitäten. So sagte Arnd Rüger, Ego-Shooter-Spiele wie „Counter Strike“ sollten eindeutig härter bewertet werden. „Wenn auf digitale Menschen geschossen wird, muss man eine gewisse Reife voraussetzen können“, sagte Rüger, Chefredakteur des Online-Spielemagazins Gamigo. Ein 12-Jähriger, so Rüger, habe definitiv nichts am Ego-Shooter verloren.

Am Montag war der 18-jährige Sebastian B. in seine ehemalige Realschule mit Waffen und Bomben eingedrungen und hatte um sich geschossen. Sebastian B., der über 30 Menschen verletzte und sich anschließend selbst erschoss, hatte die Tat vorher minutiös geplant – unter anderem an einer Rekonstruktion einer Schule in „Counter-Strike“.

Wie Gamigo-Redakteur Rüger wenden sich auch Politik und Wissenschaft den Killerspielen zu – und ihrer Indizierung. Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), sagte der taz, eine Reform der unabhängigen Selbstkontrolle der Spieleindustrie sei unabdingbar. „Wir benötigen eine klare Orientierung, ab welcher Grenze Kampfspiele nicht mehr für den Markt zugelassen werden.“

Pfeiffer äußerte massive Kritik der Praxis Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Die eigentlichen Gutachter bekämen nur vorausgewählte Spielszenen zu Gesicht. „De Facto urteilen die Gutachter über Programme, deren Dramaturgie und gestalterische Elemente ihnen nur oberflächlich bekannt sind“, sagte der Kriminologe. Der gesamte Prozess der Begutachtung sei intransparent. Einer Studie über die Bewertung der Spiele, die das Kriminologische Institut durchführen wollte, verweigerte sich die Industrie konsequent. Sie verweigere schlicht die Herausgabe der Gutachten, klagte Christian Pfeiffer. In einer Befragung unter Jugendlichen hatte Pfeiffer herausgefunden, dass die Hälfte der 10-Jährigen bereits Killerspiele nutzt, die wegen brutaler Gewaltszenen nur für Erwachsene freigegeben sind. 80 Prozent der 14- und 15-Jährigen spielen diese Spiele gelegentlich, ein Drittel regelmäßig.

Auch Arnd Rüger kann sich über den Jugendschutz nur wundern. Nach dem Amoklauf von Erfurt 2002 kam es laut Rüger zu einer „kuriosen Änderung“ im Jugendschutz: Früher konnte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) bedenkliche Spiele, die zunächst ab 16 Jahren freigegeben waren, nachträglich indizieren. Große Handelsketten schickten laut Rüger im Falle einer Indizierung sämtliche betroffene Titel an den Hersteller zurück – somit war auch Erwachsenen der Zugang zu diesen Spielen versperrt. Nun aber geht es einfacher – und wirkungsloser. Wenn die USK heute einem Spiel das Etikett „keine Jugendfreigabe“ verpasst, kann die BPjM in der Regel nicht mehr indizieren. Die Folge: der Verkauf – auch an Minderjährige – geht munter weiter.

Gutachter des Deutschen Bundestages räumten einem gesetzlichen Verbot der umstrittenen Spiele gute Chancen ein. „Der Bundesgesetzgeber ist generell nicht gehindert, ein Einfuhr-, Verkauf-, Vermiet- und Verleihverbot für Killerspiele zu erlassen.“ Die Politik zeigte sich gespalten: Für das Bundesinnenministerium bedrohen manche Spiele gar die innere Sicherheit. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) möchte deshalb gewaltverherrlichende Computerspiele verbieten. Dagegen plädierte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) für eine stärkere Selbstzensur der Branche. MARTIN LANGEDER

CHRISTIAN FÜLLER