Kanutaugliche Stadtentwicklung

GEGENWART Ein Park ist das Erbe der Internationalen Gartenbauausstellung 2013 im Hamburger Einwandererstadtteil Wilhelmsburg. Entstanden unter Schmerzen, ist er weiter umstritten: Die Behörden würden ihn am liebsten einzäunen

Als Event war sie ein Flop: Statt der erhofften zweieinhalb Millionen hatte die Internationale Gartenschau (IGS) im vergangenen Jahr in Hamburg eine Million Besucher, statt einer schwarzen Null erwirtschaftete sie ein Defizit von 37 Millionen Euro. Immerhin: Was von ihr bleibt, ist ein riesiger Park mitten in Hamburg – noch dazu in einem Stadtteil, der sich traditionell benachteiligt fühlt und dessen Bewohnerschaft gespalten ist zwischen der Angst vor Gentrifizierung und der Klage, stigmatisiert zu werden.

Wilhelmsburg liegt in Zentrum einer riesigen Elbinsel, eingefasst zwischen Hafen auf der einen, Landwirtschaft auf der anderen Seite. Der 50.000-Einwohner-Stadtteil ist überdurchschnittlich jung, überdurchschnittlich multikulturell – und überdurchschnittlich arm. 20 Prozent der WilhelmsburgerInnen sind unter 18 Jahre alt, 57 Prozent stammen aus Einwandererfamilien, fast ein Viertel bezieht Sozialhilfe.

Zugleich ist das Quartier ungewöhnlich vielgestaltig: Hier treffen ein zunehmend begehrtes Gründerzeitviertel und Backsteinzeilen aus den 30er-Jahren auf Hochhäuser aus den 60ern und 70ern, aber es gibt auch ganze Einfamilienhaussiedlungen. Wilhelmsburg ist von Wasserläufen durchzogen, die BewohnerInnen haben Industriebetriebe ebenso vor der Tür wie Feuchtwiesen und Naturschutzgebiete.

Da könnte man es für unnötig halten, dass der Hamburger Senat einen Flickenteppich aus Waldbrache, einer Art verwildertem Park sowie Kleingärten zu einem städtischen Park aus einem Guss umgestaltet hat. Aber die IGS 2013, aus der der Park hervorging, war eben nicht zuletzt ein stadtentwicklungspolitisches Großprojekt. Zusammen mit einer Internationalen Bauausstellung (IBA), die im selben Jahr abgeschlossen wurde, sollte sie Wilhelmsburg die Randständigkeit nehmen – und der Bewohnerschaft das Gefühl, abgeschrieben zu sein. Der Raum sollte geöffnet werden für ein Wachstum Hamburgs im Inneren.

Wilhelmsburg hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt: von Leuten, die ihren Müll einfach aus dem Hochhaus warfen, bis zum Kampfhund, der auf einem Spielplatz trainiert wurde und einen kleinen Jungen totbiss. Andererseits hat die Stadt Hunderte Millionen Euro hier investiert: die Hochhäuser saniert, den öffentlichen Raum befriedet und jetzt eben einen Park geschaffen, der mit einem Quadratkilometer Fläche sogar recht groß ist für 50.000 Einwohner.

Das ging nicht ohne Schmerzen: Umweltschützer und Anwohner protestierten, als die Gartenschau-Gesellschaft anfing, im großen Stil Bäume zu roden. Manchem erschien der lange zugemüllte, verwilderte Wald plötzlich als schützenswerte Oase. Der Umweltverband BUND kritisierte, dass die für vielerlei Getier schwer ersetzbaren alten Bäume unzureichend ausgeglichen würden. Die IGS-Verantwortlichen argumentierten, dass die Gräben auf der tief liegenden Elbinsel ja gerade wieder durchgängig gemacht würden, und die Rodungen für eine Vielfalt an Lebensräumen sorgten.

Die IGS hat aus amorphem Dickicht einen städtischen Erholungsort gemacht: Es gibt Liegewiesen, Brunnen zum Spielen, eine große Kletterhalle, ein Schwimmbad, einen Hochseilgarten, eine spektakuläre Skating-Anlage, große Staudenbeete neben aufgeräumten Kleingärten, Röhricht und Gräben, die mit dem Kanu befahrbar sind; eine Seebühne und ein Terassenrestaurant, dazu Grillecken und einen interreligiösen Treffpunkt zwischen Grabmalen unterschiedlicher Religionen.

Gerade diese Ausstattung sorgt nun für neuen Streit: Nach einem Beschluss der zuständigen Bezirksversammlung Hamburg-Mitte soll der Park nachts geschlossen werden – um Vandalismus zu verhindern. Die Wilhelmsburger fühlten sich ausgesperrt. Der Kompromissvorschlag: Die Hälfte des Parks wird eingezäunt und zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens geschlossen. Vier Wege kreuz und quer hindurch aber bleiben stets geöffnet.

Michael Rothschuh von der Bürgerinitiative „Verein Zukunft Elbinsel“ befürchtet, dass der Zaun, der den Park in mehrere Inseln teilt und Wege sicher versperren muss, zum zentralen Gestaltungsmerkmal werden könnte. Dass er verhindere, dass etwa Migranten im Park übernachten, wie es heute der Fall sei. „Ich unterstelle“, sagt Rothschuh, „dass das Absicht ist.“  GERNOT KNÖDLER