Ein Raum für Trinker

SUCHT UND STADT Die Nazareth-Kirchengemeinde in Wedding eröffnet für die Alkoholiker auf dem Leopoldplatz den ersten Berliner „Trinkraum“. Vorbild ist eine Einrichtung in Kiel

Wein und Bier dürfen im Trinkraum konsumiert werden, Schnaps ist tabu

VON FELIKS TODTMANN

Urin am Kitazaun, Scherben und Schlägereien gehören zum Alltag auf dem Leopoldplatz in Wedding. 40 bis 50 Männer und Frauen treffen sich täglich neben der Alten Nazarethkirche, um Alkohol zu trinken. Ein Alkoholverbot sollte das Problem lösen – vergeblich. „Ein paar Monate kam das Ordnungsamt, das war’s“, sagt Martina Sarzio, Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin der Nazareth-Kirchengemeinde. Die greift jetzt zu ungewöhnlichen Mitteln – sie eröffnet am heutigen Freitag einen „Trinkraum“, in dem sich Suchtkranke treffen können, ohne zu stören oder gestört zu werden. Vorbild ist eine Einrichtung in Kiel, bundesweit bisher die einzige dieser Art.

In Berlins erstem Trinkraum „Knorke“ wird zwar kein Alkohol verkauft, mitgebrachte niedrigprozentige Alkoholika wie Wein oder Bier dürfen aber konsumiert werden. Schnaps, Drogen oder Waffen sind tabu. Zusammen mit ehrenamtlichen Helfern aus der Gemeinde will Martina Sarzio den „Menschen aus der Grünfläche“, wie sie die Trinker auf dem Leopoldplatz nennt, eine sozial verträgliche Alternative zu ihren öffentlichen Saufgelagen auf dem Platz bieten. Geöffnet ist werktags von 10 bis 15 Uhr, kommen darf jeder, der sich an die Regeln hält.

Das Konzept ist einfach – und in Kiel erprobt. Dort hat der Sozialverein „Hempels“, Herausgeber einer gleichnamigen Straßenzeitung, vor acht Jahren in Kooperation mit der Landeshauptstadt den ersten Trinkraum Deutschlands eingerichtet. Mit großem Erfolg, wie das Interesse vieler deutscher Städte an dem Konzept inzwischen zeigt. „Wir haben eine absolute Win-win-Situation geschaffen“, sagt Christoph Schneider, Leiter der Abteilung Wohnungs- und Unterkunftssicherung im Kieler Amt für Wohnen und Grundsicherung, von dem die Idee des Trinkraums stammt. Anwohner und Gewerbetreibende fühlten sich nicht länger von der Alkoholikerszene belästigt, und die Trinker seien unter sich. Im vergangenen Sommer eröffnete „Hempels“ in Kiel bereits die zweite Einrichtung dieser Art. Dort kommen die Mitarbeiter selbst aus der Szene. Das erhöht die Akzeptanz des Projekts unter den Trinkern, und die Arbeit ist für viele Süchtige der erste Schritt heraus aus der Abhängigkeit.

Harry kümmert sich

Hilfe zur Selbsthilfe – dieses Konzept gilt auch für den Berliner Trinkraum. „Man kann die Leute nicht verjagen und ihnen keine Alternative bieten“, findet Harry, der viele der Trinker vom Leopoldplatz seit Jahren kennt. Gemeinsam mit Martina Sarzio und Mitgliedern der Nazareth-Gemeinde ist er vor einigen Wochen nach Kiel gereist, um sich Deutschlands ersten Trinkraum anzusehen. Harry unterstützt das Projekt, indem er unter seinen Freunden aus der „Grünfläche“ dafür wirbt. „Das Projekt wird gut angenommen werden“, sagt er, „dafür sorge ich.“

Berlins erster Trinkraum sei „ein erster Schritt in die richtige Richtung“, meint auch Kurt Mindt, der einen Wochenmarkt auf dem Leopoldlatz betreibt. Der Bezirk Mitte plant gemeinsam mit Anwohnern einen „bürgerfreundlichen Umbau“ des Platzes, der in diesem Frühjahr beginnen soll – inklusive eines Pavillons für die Trinker. „Der soll aber erst 2013 gebaut werden“, weiß Martina Sarzio.

Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke sah sich trotz mehrfacher Nachfrage nicht in der Lage, gegenüber der taz Stellung zum Trinkraum zu beziehen. Mehr als 1 Million Euro lässt sich sein Bezirk den Umbau des Platzes samt Begrünung kosten. Für das Trinkraumprojekt erhält die Nazareth-Gemeinde jedoch keine Unterstützung aus dem Bezirksamt. „Eins ist klar“, sagt Martina Sarzio, „Geld wird es nicht geben.“