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Archiv-Artikel

Bolivien entdeckt die Sonne

ENERGIE Solaranlagen für die Warmwassererzeugung werden in Bolivien bereits vom Staat bezuschusst. Bald soll ein progressives Energiegesetz die Nutzung von Sonne, Wind und Co fördern

AUS COCHABAMBA KNUT HENKEL

Ruth G. Saavedra zeigt auf die einfache Kiste auf dem Boden. Aus Holz zusammengebaut ist die, etwas Dämmstoff, Edelstahl und eine Glasplatte mit Scharnier. „Darunter gart das Essen in der Sonne“, sagt sie. Je nach Sonneneinstrahlung erreiche man Temperaturen von bis zu 180 Grad. Die 59-Jährige lächelt. Sie lebt in Cochabamba und verkauft rund um die viertgrößte Stadt Boliviens Solarherde.

„Diese bewahren die Frauen vor Atemwegserkrankungen, die direkte Folge des Kochens über dem offenen Feuer sind“, sagt sie. „Und Solarherde schonen die Umwelt.“ Das sind die Gründe, weshalb „Sobre La Roca“, ihr kleines Unternehmen, von Organisationen wie Energética gefördert wird.

Energética ist Institut, Beratungsagentur und Lobbyorganisation im Dienste der alternativen Energienutzung und arbeitet in und um Cochabamba, gelegen auf 2.500 Metern, wo das ganze Jahr frühlingshafte Temperaturen herrschen. In der Stadt hilft sie bei der Installation von thermischen Solaranlagen und von solaren Trockenanlagen für die Trocknung von Kiwis und anderen Früchten. Auf dem Land versucht sie, abgelegenen Dörfern über alternative Konzepte Strom zu bringen. Da werden Photovoltaikanlagen oder kleine Wasserkraftwerke installiert – wie in dem kleinen Dorf Epizana.

Ein langer Kampf

Hier wird ein kleiner Fluss aufgestaut, sodass eine Turbine das Dorf mit Energie versorgen kann. Die Anlage wird von Andrés Rosas, einem Mechaniker aus dem Dorf, gewartet und sie versorgt die 280 Mitglieder der kleinen Genossenschaft mit Strom. Die ist Betreiber des Wasserkraftwerks. Vor ein paar Jahren wurde die Anlage mit Hilfe von Energética modernisiert, sodass sie nun deutlich effektiver arbeitet. So konnten weitere Haushalte an das System angeschlossen werden und Strom steht nun rund um die Uhr zur Verfügung. In dem Weiler Quebrada Honda sind es Solarpanele, die in der Schule dafür sorgen, dass die Heranwachsenden lernen, wie ein Laptop funktioniert und welche Vorteile der Zugang zum Internet hat. Auf dem Land böten regenerative Energien „unschlagbare Vorteile“, sagt Miguel Fernández Fuentes, der Geschäftsführer von Energética.

Der Elektroingenieur hat lange gekämpft, um erneuerbare Energien auf die Agenda der politischen Entscheider in La Paz zu setzen. „Bolivien ist ein Land mit großen Gasreserven, da sind Debatten über die Energieversorgung der Zukunft schwer zu führen“, erklärt der gut vernetzte Fachmann, der zuvor unter anderem als Regierungsberater in Honduras gearbeitet hat. Er plädiert für dezentrale Konzepte, um die Energieversorgung auch in abgelegenen Gebieten Boliviens zu garantieren. „Das ist sinnvoller, weil es kostengünstiger ist als der Anschluss aller Gemeinden an das landesweite Netz.“

Rund 600.000 Familien in Bolivien haben derzeit noch keinen Stromanschluss. Die Regierung hat angekündigt, dieses Problem bis 2025 zu lösen. Dabei setzt sie immer stärker auf die Sonne, die in vielen Regionen Boliviens deutlich kräftiger und intensiver scheint, als es in Europa oder den USA der Fall ist. „Endlich hat man sich über geeignete Fördersysteme Gedanken gemacht“, sagt Fernández Fuentes. Wer zum Beispiel seine Warmwasseraufbereitung von Durchlauferhitzern auf solarthermische Anlagen umstellt, bekommt Geld vom Staat. „Jede installierte Solarthermieanlage spart über das Jahr gerechnet eine Tonne an Kohlendioxidemissionen und rund 260 US-Dollar (knapp 200 Euro, d. Red.) an Energiekosten.“ Ein Grund, weshalb die Regierung über ein Kreditprogramm die Installation der 900 bis 1.500 Euro teuren Anlagen für ein typisches Einfamilienhaus fördert.

Rund vierzig Prozent der Kosten übernimmt das Energieministerium in La Paz, die restlichen sechzig Prozent müssen die Betreiber übernehmen. Verlockende Konditionen sind das, denn die Investition amortisiert sich je nach Anlage schon nach drei bis fünf Jahren, so rechnen die Experten von Sicosol vor, einem der Kooperationspartner von Energética. Aufgrund der Einsparpotenziale lassen sich vor allem Mittelklassefamilien in und um Cochabamba schnell überzeugen. Darauf haben Fernández Fuentes und andere Experten das Energieministerium hartnäckig hingewiesen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Bolivien bald ein neues Alternative-Energien-Gesetz verabschiedet, in dem mehr Förderung festgeschrieben ist.

Ein neues Instrument

Der Entwurf dafür wurde bei einem mehrtägigen Workshop auf Ministeriumsebene Ende Februar 2014 bereits diskutiert, sagt Fernández Fuentes. Verabschiedet werden soll das Gesetz irgendwann nach den nationalen Wahlen im Oktober. Das zentrale Finanzierungsinstrument sei ein Fonds, erklärt Fernández Fuentes, aus dem alternative Energieprojekte – ob Solar-, Wasser-, Wind- oder geothermische Anlagen – finanziert werden sollen. Die Mittel werden dem Fonds aus einer Abgabe für das billige heimische Gas zugeführt. Für das pragmatische Modell hat der Energieexperte lange geworben.

Für Kleinprojekte in und um Cochabamba hat er bereits internationale Zuschüsse eingeworben. So kooperiert Energética mit der Schweizer Stiftung myclimate, die zu den führenden Anbietern von freiwilligen CO2-Kompensationsmaßnahmen gehört. Die fördert die Installation von solarthermischen Anlagen und Solaröfen in Bolivien. Für jede eingesparte Tonne Kohlendioxid zahlt die eidgenössische Klimaschutzorganisation 10 US-Dollar, wodurch die Kosten vor Ort gesenkt werden.

Doch das Lobbying von Energética hat auch für die Durchführung von größeren Projekten gesorgt. In Cobija, im tropischen Tiefland, ist eine große Photovoltaikanlage geplant, eine weitere in der Nähe der Stadt Oruro im Andenhochland. Beide Projekte werden von der bolivianischen Regierung in La Paz finanziert. Sie hat nun auch das Potenzial der Sonne entdeckt.