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Archiv-Artikel

Rundum bio, rundum gesund?

Reine Natur ist gesund und schmeckt. Aber auch bei Bioware wurden bereits Pestizidrückstände gemessen – von Nachbarfeldern herübergeweht. Bei Lagerung und Transport wird zwischen konventionell und bio nicht immer streng getrennt

VON REBECCA MENZEL

Die Werbestrategien der Bioanbieter zielen zunehmend auf den allgemeinen Wellnesstrend. Die Rechnung scheint aufzugehen. In Deutschland werden 28 Prozent aller verkauften Biolebensmittel Europas gekauft. Nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Information Resources (IRI) gaben etwa 40 Prozent der Befragten an, dass sie öfter und mehr Bioprodukte kaufen als vor zwei Jahren. Kein Wunder eigentlich nach einem Jahr der Lebensmittelskandale: erst Vogelpest, dann Gammelfleisch, zudem die seit Jahren anhaltende Debatte um genmanipulierte Nahrung.

Die Verkäuferin Michaela erzählt von juckenden Augen und pelzigem Hals als Reaktion auf den Verzehr von herkömmlichem Gemüse. Die Erzieherin Grit hat von Tiefkühlfleisch aus dem Supermarkt schon zwei Mal Nesselfieber mit Ausschlag an Beinen, Armen und Hals bekommen. Seitdem kaufen beide nur noch Bio. Hautirritationen sind die häufigsten Reaktionen auf Pestizide, die Gemüse und Obst vor Schädlingsbefall bewahren sollen und in der industriellen Landwirtschaft weit verbreitet sind. Nach einer Greenpeace- Studie spritzen Obst- und Gemüsebauern in Deutschland vor allem Tomaten, Kopfsalat, Rucola und Äpfel mit gesundheitsgefährdenden, nicht zugelassenen Pestiziden.

Nach einer Untersuchung des Magazins Öko-Test schneiden alle Supermarktketten in Sachen belastetes Gemüse schlecht ab. Dennoch gibt es Unterschiede: Aldi-Gemüse ist am wenigsten belastet, während die Pestizidwerte bei Waren von Lidl teilweise 30 Prozent über den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Deshalb sollte man alle Früchte grundsätzlich gut waschen und auch am besten abreiben. Das gilt auch für Biogemüse. „Bei Lebensmitteln besteht die größte Gefahr darin, dass man nie weiß, wer das vorher in den Händen hatte“, sagt Katja Niedzwezky vom Bundesverband Naturkost und Naturwaren. So können gesundheitsgefährdende Viren, die zum Teil mehrere Tage überleben, weitergegeben werden. Eine besonders aggressive Variante scheint dieses Jahr das Norovirus, das mehrere Tage überlebt, entwickelt zu haben.

Wer Bioprodukte im Supermarkt kauft, sollte auf das sechseckige Label der EU-Ökoverordnung achten. Allein das garantiert die Biokriterien. Bezeichnungen wie „natürliche Herstellung“, „naturgerecht“, „naturnah“, „integrierter Landbau“ oder „zertifiziert“ sagen wenig aus. Auch deshalb haben sich die Supermarktketten Bioeigennamen ausgedacht, die die Kriterien des EU-Labels garantieren: Bioness bei Lidl, BioBio bei Plus, PrimaBio und BioSmiley bei Aldi und Grünes Land bei der Metro-Gruppe. Trotzdem: Selbst bei Biogemüse der Supermärkte hat das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart, das seit 2001 ökologische Landprodukte mit herkömmlichen vergleicht, noch Pestizidrückstände gemessen. Das liegt oft daran, dass Pflanzenschutzmittel von Nachbarfeldern herüberwehen oder bei Lagerung und Transport nicht streng zwischen konventionellen und Ökoprodukten getrennt wird.

Die Richtlinien der Verbände Bioland, Demeter, Naturland, Biopark, Biokreis und Gäa gehen deshalb über die Anforderungen des EU-Bio-Siegels hinaus und umfassen auch den Naturschutz, die Lagerung und den Handel mit Zukaufware. Persönliches Wohlbefinden lässt sich schwer messen. Wer eine robuste Gesundheit hat und nicht akut auf pestizidbelastetes Gemüse reagiert, merkt die Unterschiede kaum. Einige Pestizide gelten als krebserregend oder als Nervengift, greifen in den Hormonhaushalt ein und können die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.

Sich wohl zu fühlen hat für viele auch damit zu tun, mit ihrem Einkaufsverhalten ein politisches Statement setzen zu können. Franziska F., Sozialarbeiterin, kauft Bioprodukte bei LPG, weil sie etwas gegen die unfairen Handels- und Arbeitsbedingungen der Discounter tun will. Eine große Rolle spielt auch der zunehmende Unmut über die Umweltbelastung, die der Transport von Lebensmittel verursacht. Laut einer Greenpeace-Studie müssten zum Beispiel Trauben aus Südafrika ein Vielfaches kosten, würde man die verursachte CO2-Belastung im Preis berücksichtigen.

Wer Lust hat, regionale Bauern zu unterstützen, und zugunsten jahreszeitspezifischer Obst- und Gemüsesorten auf Exotisches im Winter verzichten kann, findet auf den Wochenmärkten Stände von Biobauern aus der Nähe. Manche ökologische Betriebe und Kooperativen bieten auch einen Lieferservice an. Einen nach Bundesländern geordneten Einkaufsführer findet man bei oekolandbau.de. Die Kiste mit Gemüse eigener Wahl wird oft direkt an die Haustür gebracht. Und die Mitarbeiter sind auch dann noch nett, wenn sie gerade fünf Treppen gerannt sind. Auch solche Erfahrungen tragen ja durchaus zum persönlichen Wohlbefinden bei.