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Archiv-Artikel

Mehr Radioaktivität

AKW Forsmark strahlte viermal so stark wie offiziell gemeldet. Betreiber Vattenfall bemerkte Fehler nicht

STOCKHOLM taz ■ Die Messung, wie viel radioaktive Substanzen aus den Schornsteinen des schwedischen AKW Forsmark austreten, funktioniert schon seit Jahren nicht mehr richtig. Deshalb ist in den letzten drei Jahren vermutlich viermal so viel Strontium, Cäsium und Plutonium freigesetzt worden, wie Betreiber Vattenfall der Strahlenschutzbehörde meldete.

Der Grund dafür war eine „nicht passgenaue“ Dichtung. Diese saß ausgerechnet an einem Filter, der mit den Messgeräten gekoppelt ist und den die gesamte aus dem Schornstein nach draußen entweichende Luft passieren muss. Die zuständige Strahlenschutzbehörde SSI hält das für „nicht akzeptabel“. SSI-Forschungsleiter Leif Moberg: „Korrekte Messungen sind grundlegend für die Berechnung, was an radioaktiven Substanzen wie Cäsium-137 und Strontium-90 nach draußen und damit über Feldfrüchte und Tiere in die Nahrungskette gelangt.“

Bei Vattenfall selbst schätzt man inzwischen ein, dass in den vergangenen drei Jahren tatsächlich nur 23 Prozent der freigesetzten Radioaktivität gemessen wurden. Anki Hägg, SSI-Strahlenschutzinspektorin, hofft allerdings, dass das nicht bedeutet, dass die Grenzwerte der für Menschen gefährlichen Strahlenbelastung überschritten wurden. Auch die Behörde habe aber von Forsmark noch keine nachvollziehbare Erklärung dafür erhalten, warum der Fehler seit mindestens 2004 unbemerkt geblieben sei.

Gleichzeitig wies SSI auf grundlegende Mängel bei der Messung radioaktiver Substanzen hin, die von schwedischen AKWs freigesetzt werden. Allein bei den drei Forsmark-Reaktoren sei die Technik zur automatischen Messung radioaktiver Gase wie Argon und Krypton in den letzten vier Jahren 26-mal komplett ausgefallen. Laut Moberg will die Behörde ihre Kontrollen daher verschärfen.

Wie viele der in Forsmark in den letzten Monaten entdeckten Fehler war auch das Problem der fehlerhaften Messungen bereits seit einiger Zeit intern bekannt – es war schon vor Weihnachten entdeckt worden. Konsequenzen für den laufenden Betrieb hatten aber weder der Betreiber noch die Behörde daraus gezogen. Aktiv wurden beide erst, als Medien den Fehlern auf die Spur gekommen waren. Angesichts der nicht endenden Pannen- und Fehlerserie kündigte Umweltminister Andreas Carlgren an, die Sicherheit der gesamten atomstromproduzierenden Industrie in Schweden zu überprüfen.

Die Strahlenschutzbehörde hat gestern erste Konsequenzen gezogen: Sie verbot den geplanten Neustart eines Reaktors in Forsmark. REINHARD WOLFF