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Archiv-Artikel

Das Endlager droht

30 Jahre nach der Benennung von Gorleben zum Atomstandort steht die Entscheidung bevor, ob radioaktiver Müll im dortigen Salzstock endet

VON REIMAR PAUL

Die Meldung kam nachmittags im Radio. Am 22. Februar 1977 benannte Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) Gorleben im Kreis Lüchow-Dannenberg als Standort für das „Nukleare Entsorgungszentrum“. Auf einem 16 Quadratkilometer großen Waldstück sollte ein gigantischer Atomkomplex entstehen – mit Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), Endlager und mehreren Zwischenlagern, einer Brennelementefabrik und weiteren Einrichtungen. Die WAA wurde nie gebaut, doch über ein Endlager in Gorleben wird heftiger denn je gestritten.

Zur Begründung seiner Wahl verwies Albrecht damals auf den unterirdischen Gorlebener Salzstock, in dem sich der Atommüll für Jahrtausende sicher verwahren ließe. Salzformationen gab es indes auch andernorts in Niedersachsen. Sie hätten sich nach Ansicht vieler Fachleute sogar besser als Lagerstätte geeignet. Der Kieler Geologe Klaus Duphorn stufte die Sicherheit Gorlebens seinerzeit „im letzten Drittel“ der deutschen Salzstöcke ein. Sein Kollege Eckhard Grimmel aus Hamburg erklärte, der Salzstock habe durch Salzauflösung bereits einen großen Teil seiner Substanz verloren. Darüber hinaus stellte Grimmel schon damals in Frage, ob Salz für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle überhaupt geeignet ist.

Im März 1979 brachen hunderte Lüchow-Dannenberger Landwirte nach Hannover auf, wo sie von mehr als 100.000 Demonstranten begeistert empfangen wurden. Die Aktion beeindruckte auch die Politik: Eine Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben sei politisch nicht durchsetzbar, telegrafierte Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Die weitere Erkundung des Salzstocks konnten die Umweltschützer nicht stoppen – auch nicht durch die Besetzung eines Bohrplatzes und das Ausrufen der „Republik Freies Wendland“ im Frühsommer 1980. Zwei Zwischenlager und eine „Pilotkonditionierungsanlage“ zum Verpacken von Atommüll wurden ebenfalls gebaut. Im Jahr 2000 verfügte die rot-grüne Bundesregierung ein Moratorium für die Arbeiten im Salzstock – da war das unterirdische Endlager schon fast fertig.

Jetzt geht der Endlager-Streit in die letzte Runde: Die Große Koalition in Berlin will noch in dieser Legislaturperiode entscheiden, ob weitere Standorte geprüft werden. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ist dafür. Ebenso Wolfram König, Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS): „Ob Gorleben der beste Standort ist oder nicht“, sagt er, „werden wir nur durch einen Vergleich verschiedener Standorte herausfinden.“

Für Gabriels Gegenspieler im Kabinett, Michael Glos (CSU), ist dagegen klar, dass Gorleben am besten geeignet ist. Es gebe keine dagegen sprechenden Gründe, folglich müsse der Salzstock rasch weiter erkundet werden, verlangen auch andere Unionspolitiker und Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Gabriel will das Moratorium aber nur dann beenden, wenn die Union die gleichzeitige Suche nach anderen Endlagerorten mitträgt.

Die Betreiber der Atomkraftwerke als Verursacher des hochradioaktiven Mülls setzen ebenfalls auf Gorleben und verweisen gerne darauf, dass sie hier bereits 1,3 Milliarden Euro investiert haben. Das Geld kommt allerdings aus steuerfreien Rückstellungen, die die Stromwirtschaft für die Entsorgung des Atommülls gebildet hat.

SPD-Fraktionschef Peter Struck bereicherte die Debatte in der vergangenen Woche um den Vorschlag „Ein Endlager für Europa“ – und erntete dafür heftige Kritik von allen Seiten. „Das Risiko ist groß, dass die Sicherheitsstandards dann am Ende geringer sind als unsere eigenen“, sagt etwa BfS-Chef König. Auch könnte Deutschland schnell selbst Atommüll-Importeur werden.

So lange nichts entschieden ist, geben die Atomkraftgegner in Lüchow-Dannenberg nicht auf. Mit einem zweitägigen Fest wollen sie am 24. und 25. Februar an die Standortbenennung erinnern und sich dabei auch selbst feiern. Neben Musik, Tanz, Kino und Ausstellungen sind auch „wendländische Kreuzfahrten“ geplant: per Bus und Trecker zu den Schauplätzen und Stationen des Widerstands.