: Gesucht: Underground
EDITORIAL Das Thema Underground ist kaum zu greifen. Zwanzig NachwuchsjournalistInnen haben sich im Rahmen des taz-Panter-Workshops dennoch auf die Suche nach Menschen, Orten und Medien abseits des Mainstreams gemacht
„Die Probleme des Lebens quellen aus dem Anspruch, die Eigenart seines Daseins gegen die Übermächte der Gesellschaft zu bewahren.“ Simmel goes subculture: Schon 1903 stellte der deutsche Soziologe fest, dass jeder den Wunsch hat, einzigartig zu sein.
Früher war ein Minirock noch Provokation. Heute sind selbst zerrissene Jeans und Piercings kein politisches Statement mehr. Das Hervorstechen aus der Masse fällt immer schwerer. Trotzdem: Wer möchte schon im grauen Einheitsbrei untergehen?
Gestern noch befand man sich mit seiner Neuentdeckung bei Mode, Musik und Kultur auf der Poleposition. Schon heute hinkt man den Trends hinterher, welche Arbeiterviertel zu schicken Szenekiezen, Überlebenskünstler zu angesagten Streetartists und Fanzines zu auflagestarken Hochglanzmagazinen werden lassen.
Besetzte Häuser sind nicht nur durch staatliche Eingriffe gefährdet, sondern schwanken zwischen Illegalität und popkultureller Pilgerstätte. Als Reliquien aus der Studibewegung kennen wir sie als autoritätsfreie Orte. Doch die jungen Rebellen von damals sind längst biedere Anzugträger. Dennoch wirkt ihr Gedankengut und ihre Systemkritik aus den 1960ern bis heute nach. Der Aufstand gegen die Elterngeneration wird heute meist früh mit Bier und Zigarette im dunklen Keller geprobt. Nicht weil man sich isolieren, sondern weil man sich persönliche Freiräume schaffen will.
Doch Entscheidungsfreiheit birgt die Gefahr, im Chaos von Neuem und Bestehendem zu versinken. Verschlingt unser alltägliches Umfeld also das individuelle Sein? Müssen wir uns immer mehr anstrengen, um nicht ins Jammertal der spießbürgerlichen Durchschnittlichkeit abzugleiten? Ist Underground kreativer Rückzugsraum und Identitätsfindung abseits des urbanen Gewimmels? Eine abschließende Antwort gibt es nicht. Beim Wühlen im Ideenfundus abseits des Mainstreams sind wir auf Ansichten, Einstellungen und Geschichten gestoßen, die unterschiedlicher nicht sein können.
MINA SAIDZE, JULIA SONNHÜTTER