: Die Ruhe am Kreuz des Südens
Zusammen mit dem Hauptbahnhof wurde auch der Bahnhof Südkreuz eingeweiht. Doch der befindet sich auch ein halbes Jahr später im Dornröschenschlaf. Bahn gibt zu, nicht genug geworben zu haben
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Über eine Millionen Besucher strömten herbei. Als der neue Hauptbahnhof vor sechs Monaten, am 26. Mai 2006, eröffnet wurde, war Party. Der Bahnhof als Ort des Transits von Zügen und Menschen, als Symbol für Mobilität und Geschwindigkeit, als „Kathedrale der Technik“ erlebte eine Renaissance. Berlins Hauptbahnhof war synonym für eine andere Dimension.
Tatsächlich eine andere Dimension hat der Bahnhof Südkreuz. Er wurde zeitgleich zwei Kilometer weiter südlich eingeweiht. Doch anders als am Hauptbahnhof geht es dort bis heute gemächlich zu. Die Fahrgäste auf den Fern-, und Regional- sowie den S-Bahnsteigen sind am späten Vormittag an zwei Händen abzuzählen. Im Reisezentrum muss man nicht lange für Tickets und Informationen anstehen. Ein paar Fahrgäste nach Leipzig, Nürnberg und München oder Dresden – die Städte bedient auch der Hauptbahnhof – vertreten sich hier die Beine. In den Geschäften herrscht Flaute, draußen am Taxistand ebenso.
Der zirka 200 Millionen Euro teure Bahnhof Südkreuz ist nicht nur der kleinere Bruder des Hauptbahnhofs geblieben. Nach einem halben Jahr Nutzung ist er weit davon entfernt, erwachsen zu werden. Was die Bahn AG als zweite Superstation und Berlins Südkreuz für Umsteiger, Pendler und Fernbahnreisende hochgejazzt hatte, scheint Illusion. Von vielen Berlinern wurde die neue Station erst wahrgenommen, als dort in der vergangenen Woche ein S-Bahn-Zug auf einen Messwagen krachte.
200.000 Reisende täglich hat die Bahn für den neuen Südknoten prognostiziert, knapp 100.000 sind es derzeit. Die meisten davon sind S-Bahn-Fahrgäste auf der Ringbahn und den Strecken S 2 und S 25. Von den 1.400 Zügen durch das brückenartige gläserne Verkehrsbauwerk sind allein 1.000 S-Bahnen. Als „Kopfbahnhof“ für abfahrende Eisenbahnen spielt Südkreuz eine marginale Rolle. Zwei statt drei Bahnsteige hat die Bahn AG erst zur Nutzung freigegeben. Rund 2.800 Pkw-Stellplätze in mehreren Parkhäusern sollten gebaut werden. Nur 210 Stellflächen in einem kleinen Parkhaus sind es bisher, weil Investoren fehlen.
Die Bahn steht – nach einem halben Jahr Unterkapazität – uneingeschränkt zum Südkreuz, zumal jetzt alle Läden auf den 5.000 Quadratmetern Nutzfläche vermietet sind. Sie räumt aber Fehler und Defizite ein, wie Bahnsprecher Michael Baufeld zugibt. Zu den Fehlern gehöre etwa, dass im Berliner Süden und in der angrenzenden Region für die Station „nicht genug getrommelt worden ist“. Das Südkreuz müsse sein Image als „Fernbahnhof“ noch finden. Baufeld: „Bisher ist der Bahnhof noch nicht ausgelastet, der Schwerpunkt liegt noch bei der S-Bahn. Hier hat er die klare Funktion als Umsteigeknoten.“
Für die Bahn AG ist das Südkreuz eine Investition in die Zukunft. „Der Bahnhof hat Reserven“, nennt das die Bahn. Mit der Inbetriebnahme des Großflughafen Schönefeld und dem Gleisanschluss dorthin über die Dresdner Bahn „könnte der Bahnhof durchstarten“, meint Baufeld. Dann würde der dritte Bahnsteig eröffnet, die Abfahrtsstation im Süden würde zur Basis für Bahn- und Flugreisende. Mit 200.000 Fahrgästen pro Tag zöge Leben in die Bude ein. Als Bahnhof für den Airportshuttle wäre Südkreuz zudem interessant für Investoren des fehlenden Parkhauses.
Die Hoffnung der Bahn AG, dass der Flughafen Schönefeld zum Motor für das Südkreuz wird und Pendler und Flugreisende hier ihre Wagen parken, um bequem in die City oder nach Schönefeld zu schaukeln, hat aber ein Manko. Weil die Dresdner Bahnstrecke durch Lichtenrade noch nicht planungsrechtlich und finanziell gesichert ist, wird sich vor 2010, so sagen Experten, dort nichts Wesentliches tun. Bis dahin könnte der Dornröschenschlaf am Südkreuz also mindestens dauern.