: Havarie mit Ansage
DER REAKTOR Der Block 1 des AKWs Fukushima I ist einer der ältesten Reaktoren der Welt und hat eine Geschichte voller Pannen
VON INGO ARZT
Auf den Tsunami haben die Ingenieure, Manager und Planer des Atomkraftwerks Fukushima I (Fukushima Daiichi) ihre Anlage nicht vorbereitet. Als die Welle nach dem immensen Erdbeben am Samstag auf die Anlage direkt an der Küste traf, versagten sämtliche Notsysteme auf einmal.
Zwar schalteten sich die drei von insgesamt sechs Reaktoren, die in Betrieb waren, sofort ab, als die Erde bebte. Doch der Tsunami legte die Dieselgeneratoren der Notsysteme lahm, die im Katastrophenfall die großen Mengen Kühlwasser in den Reaktor pumpen sollten. Das Kraftwerk hatte einen Stromausfall. Der Dampf, der normalerweise zu den Generatoren abgeführt wird, um Strom zu erzeugen, blieb wegen der Notabschaltung ohnehin im Reaktor.
Die Folge: Druck und Hitze stiegen und stiegen. In den Reaktorblöcken 2 und 3 konnten die Ingenieure die Kühlpumpen mit mobilen Generatoren und Batterien betreiben und die Situation so zunächst unter Kontrolle bringen. Nur für den ältesten reichte die Leistung von Anfang an nicht aus. Doch mittlerweile droht auch in Block 3 eine Kernschmelze – ausgerechnet dort, wo im August vergangenen Jahres als Kernbrennstoff ein Plutonium-Uran-Mix eingesetzt wurde, der im Fall einer Katastrophe wesentlich schädlicher als pures Uran ist.
Was nun geschehen wird, ist völlig unklar. Der Reaktor gleicht einer Blackbox. Unter den dort herrschenden Bedingungen funktionieren keine Messgeräte mehr, sagen Experten. Niemand weiß, ob die Brennstäbe bereits geschmolzen sind.
Die möglichen Szenarien für den Fall, dass sämtliche Rettungsmaßnahmen scheitern, lassen sich relativ gut aus einer Untersuchung für die US-Regierung aus dem Jahr 1986 ablesen. Gegenstand: Was passiert bei einer Kernschmelze im Reaktortyp „General Electric Mark I“? Es ist die gleiche Baureihe, die nun havariert ist, errichtet ab dem Jahr 1967 vom US-amerikanischen Konzern General Electric, erstmals hochgefahren im Oktober 1970.
Darin heißt es: „Es gibt genug potenzielle Lecks, um katastrophalen Überdruck zu verhindern.“ Das bedeutet: Bevor der ganze Reaktor wie in Tschernobyl explodiert, führt der Druck zu Rissen, entweicht und baut sich automatisch ab. Das zweite, diesem Papier zufolge wahrscheinlichere Szenario ist: Die außer Kontrolle geratene strahlende Masse im Inneren des Reaktors schmilzt sämtliche Schutzummantelungen durch. In beiden Fällen tritt viel radioaktives Material aus, allerdings nicht explosionsartig und daher wahrscheinlich leichter zu kontrollieren.
Der Reaktorblock 1 in Fukushima I gehört ohnehin nicht zu den verlässlichsten seiner Art. Aus Daten der Internationalen Atomenergiebehörde geht hervor, dass er in den vergangenen zehn Jahren nur knapp über die Hälfte des Stromes produziert hat, die seine Nettoleistung von 439 Megawatt zulassen würde. Nur wenige Reaktoren weltweit haben eine schlechtere Ausbeute. Und nur 16 der weltweit in Betrieb befindlichen 441 Kernreaktoren sind noch vor dem japanischen ans Netz gegangen.
Die schlechte Leistung ist auch nicht mit der skandalumwitterten japanischen Betreiberfirma Tokyo Electric Power (siehe Text unten) zu erklären. Selbst im Vergleich mit den Pannenreaktoren des Betreibers war der Unglücksreaktor deutlich seltener am Netz. Ein klarer Hinweis auf häufige Probleme.
Die gab es auch in der Frühphase des Reaktors, in der häufig feine Risse in den Rohrleitungen auftauchten. Von der Bauweise her gehört er zu den sogenannten Siedewasserreaktoren. Dabei wird Wasser durch die radioaktiven Zerfallsprozesse der Brennstäbe zum Sieden gebracht, verdampft und treibt Turbinen an, die Strom erzeugen. Anschließend wird der Dampf wieder zu Wasser kondensiert, gekühlt und in den Reaktor zurückgeführt. Das Kühlwasser selbst ist von dem Reaktorwasser getrennt, sodass es nicht radioaktiv verseucht wird.
Auch in Deutschland gibt es in Brunsbüttel, Krümmel und Philippsburg Kernreaktoren dieses Bautyps.