: Quadratgärtnern
Autonom werden mit eigenem Gemüse – Nahrungsmittelproduktion in der Stadt
Jedes Frühjahr befällt Menschen das Gärtnerfieber. Da werden viel zu große Beete angelegt, hunderte von Kopfsalaten gezogen, ganze Samentüten Kürbis gesteckt oder endlose Reihen Radieschen und Mohrrüben zu dicht gesät. Im Frühjahrsfieber überschätzt man seine eigenen Kräfte und unterschätzt die Arbeit, wenn gejätet, geerntet und bewässert werden muss.
Schon das rechtzeitige Vereinzeln der Pflänzchen verpassen viele. Spätestens mit Anfang des Sommers will man mal an den See. Das Unkraut nimmt überhand. Zu viele Salatköpfe schießen in einer Woche. Und: Alle Gärtner klagen über schlechte Böden: zu sandig und trocken, zu schwer oder zu steinig und immer zu wenig Humus. Es dauert vielleicht sieben Jahre, einen guten Gartenboden aufzubauen. Sechs Jahre plagt man sich, und dann zieht man um.
Mel Bartholomew, ein US-amerikanischer Ingenieur aus Utah, hat das auch bei seinen Landsleuten beobachtet. Seine Konsequenz daraus war die Entwicklung des Square Foot Gardening (Quadratfußgärtnern). Quadratgärtnern kombiniert mehrere bekannte und einige neue Ideen zu einem einfachen, erfolgreichen und Freude machenden Kleingarten. Das Wichtigste ist Psychologie: die Beschränkung auf eine kleine Fläche und ein klares Muster, um diese intensiv zu nutzen.
Nachdem ich auf einem Vortrag vom Quadratgärtnern gehört hatte, habe ich sofort an meiner Terrasse ein 2,70 mal 1,20 Meter breites Beet mit alten Dachziegeln umgrenzt.
Ich füllte das Beet mit zwanzig Zentimeter hohem Flächenkompost aus Heu, Stroh, Küchenabfällen, altem Tierfutter und Ähnlichem. In jede Schicht und obendrauf kamen TriaTerra-Streu und Erde. Das Ganze habe ich intensiv mit einer Lösung aus Effektiven Mikroorganismen (EM) angegossen. Wie Sauerkrautsaft oder Sauerteig, so sind auch EM eine Mischung von Milchsäurebakterien, Hefen und Fotosynthesebakterien, die eine positive Mikrobiologie schaffen. Genauso wie Sauerkrautsaft für unsere Verdauung gut ist, hilft das milchsaure EM dem Boden und Kompost bei der Verdauung. Dazu kamen noch je Quadratmeter zwei bis vier Liter verdünnter Urin zur Düngung, damit sich die Holzkohle und das Gesteinsmehl aus der TriaTerra-Streu mit Nährstoffen aufladen.
Dann habe ich aus Leisten ein 30x30-Zentimeter-Quadratmuster zusammengeschraubt. In diese kleinen „Quadrate“ kamen Saatpflänzchen und Samen.
Quadratgärtnern ist für mich ein echter Durchbruch in der Gärtnerkarriere. Ich neige auch dazu, zu viel oder zu einseitig zu pflanzen. Einmal hatte ich einen halben Hektar Buschbohnen angelegt, der von Rehen gefressen wurde. Jetzt habe ich auf drei Quadratmetern 20 verschiedene Kulturen. Und wenn mal aus einer Quadratsaat nichts wird, pflanze ich sofort nach. Das Quadratbeet deckt locker meine Grundversorgung: Ich ernte täglich Kräuter, dreimal in der Woche Salat und zweimal in in der Woche Gemüse.
Wie kann ich selbst quadratgärtnern? Mit Quadratgärtnern kann man die Nahrungsmittelproduktion wieder in der Stadt ansiedeln. Auf einer Terrasse, im Hinterhof oder auf dem Dach wird sie auch für Stadtmenschen mit wenig Platz, Zeit und Wissen möglich. Man kann die Quadratform aus Brettern oder großen Blumentöpfen auch auf blanken Stein setzen und mit 20 cm guter Erde oder Kompostmaterial auffüllen. Auf jedem Balkon ist zumindest Platz für ein 60 cm breites Beet. Wer sich nicht bücken will, kann es gleich in Tischhöhe auf Stelzen anlegen.
■ Das Grundbeet ist 1,20 x 1,20 m, aufgeteilt in 4 x 4 = 16 Quadrate (30x30 cm). Es darf länger sein, aber nicht breiter, damit es bequem von den Seiten bearbeitet werden kann. Das Beet wird mit Brettern oder Dachziegeln abgegrenzt. Dadurch kann man 20 cm gute Erde auftragen, es wächst kein Unkraut hinein, und man tritt nie auf das Beet.
■ Die 30x30-cm-Quadrate werden unterschiedlich und dicht bepflanzt oder in Einzelkornaussaat besät. Je Quadrat beispielsweise 4 Kohlrabi, 1 Brokkoli, 4 Mangold, 1 Blumenkohl, 4 Sellerie, 16 Radieschen, 9 Buschbohnen, 16 Porree, 16 Zwiebeln, 9 Spinat, 1 Kartoffel. An der sonnenabgewandten Nordseite hochwachsende und kletternde Pflanzen: 1 Tomate, 8 Stangenbohnen, 1 Kürbis mit Klettergerüst, 8 Erbsen, 1 Mais usw.
■ Beerntete Quadrate werden mit Terra Preta oder Kompost aufgefrischt und sofort wieder je nach Saison bepflanzt oder besät. So schafft man ohne große Planung Fruchtfolgen, Mischfruchtanbau und drei Ernten im Jahr (etwa Radieschen/Buschbohnen/Rosenkohl oder Spinat/ Sellerie/Feldsalat). Mit etwas Geschick können sogar vier Ernten möglich werden.
■ Das Quadratbeet liegt so nah wie möglich an der Küche oder der Haustür. Jeder Meter zählt. Dann sieht man jeden Tag und jede Stunde, was geerntet, gejätet oder nachgepflanzt werden kann. Durch die vielen unterschiedlichen Pflanzen lernt man unglaublich schnell unglaublich viel. Obwohl im Sommer der See ruft, ist das Quadratbeet im „Vorbeigehen“ immer gepflegt, beerntet und neu besetzt.
MARKO HECKEL
■ Dieser Artikel ist einer von mehreren Beiträgen aus dem neu erschienenen taz-Buch „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“.
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