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Archiv-Artikel

Oops! … Jetzt sind sie ab

Sängerin Britney Spears hat sich eine Glatze scheren lassen und sorgt damit für weltweite Entrüstung. Warum erregt ein kahlgeschorener weiblicher Kopf die Öffentlichkeit – ein männlicher aber nicht?

VON MARTIN REICHERT

„Glatze. Schreie. Klinik.“ Ein Dreiklang des Horrors: „Britney Spears total kaputt“, titelte gestern die Bild-Zeitung. Und nicht nur sie. Der weltweite mediale Aufschrei über Spears’ Friseurbesuch übertrifft den ihres „Beaver Shot“-Auftritts – so nannte man solche Blitzerfotos vor den Zeiten der Intimrasur – vor wenigen Wochen um einiges. Hatte damals die Enthüllung ihres rasierten Genitalbereichs die Welt entrüstet, so ist es nun ihr rasierter Schädel. Und der wiegt anscheinend tatsächlich schwerer.

„Ich habe versucht, ihr das auszureden“, erklärte die zuständige Friseurin aus Los Angeles, aber Frau Spears habe eigenhändig zum Rasierer gegriffen, um sich von ihrer „Haarpracht“ zu befreien. Zudem habe sie sich zusätzliche Tattoos stechen lassen – und bedürfe laut Auskunft von psychologisch geschulten Fachleuten dringend der Hilfe ebenjener: Scheidung, Karriereknick und ein angeblicher Aufenthalt in einer Entziehungsklinik. Nur die Friseurin ist fein raus. Sie nennt ihre Maschinenrasur ab sofort „Brit Buzz Special“ und verlangt dafür von allen Kundinnen 200 statt 20 Dollar.

Glatze, Schreie, Klinik: Eine Frau mit Glatze macht Angst. Während der kahlgeschorene Mann längst zum popkulturellen Mainstream gehört – Hiphop-Glatze, Technoglatze, Homoglatze, Intellektuellenglatze, Skinglatze –, taucht die weibliche Glatze vornehmlich in Problemzusammenhängen auf. Frauen, die unter krankhaftem Haarausfall leiden, geraten schnell in Identitätsbedrängnis – bei Männern hingegen gehört der allmähliche Verlust des Haupthaars zum natürlichen Lebensverlauf. Frauen, die sich bei einer Krebserkrankung einer Chemotherapie unterziehen müssen, empfinden den daraus folgenden Verlust der Haare als unglaubliche Belastung.

Die gepflegte Mähne ist integraler Bestandteil von Weiblichkeit. Sie wird in konventionellen Frauenzeitschriften fetischisiert, als Gesprächsthema dauerventiliert. Die zunehmende Bedeutung der weiblichen Frisur hat die Friseure längst an die Spitze der Gesellschaft katapultiert.

Frauen, die sich eine Glatze scheren, laufen hingegen Gefahr, sich ins gesellschaftliche Abseits zu befördern. Die Popsängerin Sinead O’Connor ist das populärste Beispiel für Gleichsetzung von Glatze mit Garstigkeit. Ihre öffentliche Schändung des Papstes passte da nur ins Bild. Eine Frau mit rotem Haar lässt jeden Inquisitor längst müde abwinken – aber eine Frau mit Glatze?

Zu sehr rührt diese „Frisur“ an den Grundfesten der Geschlechterdifferenz, gezielt eingesetzt etwa im Falle der sexuell ambivalenten Sigourney Weaver in der „Alien“-Trilogie. Auch Sängerin und Schauspielerin Grace Jones blieb insbesondere aufgrund ihrer Extrem-Kurzhaarfrisur als verwirrende bis männermordende Figur in Erinnerung, bei manchen in guter, bei anderen in schlechter. Die als bedrohlich wahrgenommene sexuelle Ambivalenz deckt sich zudem mit dem Stereotyp der glatzköpfigen, sogenannten Kampflesbe.

In der Tat galt es in der Lesbenszene lange Zeit zum guten Ton, mittels Kurzhaarfrisur ein politisches Zeichen zu setzen. Zum einen als Symbol der radikalen Differenz und der Forderung nach Veränderung der überlieferten Geschlechterrollen, zum anderen als gezielten Verweis auf die Unterdrückung von Frauen. Die Kopfrasur wurde traditionell zu ihrer Erniedrigung eingesetzt; bekannt ist das Beispiel zahlreicher Frauen, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Abzug der deutschen Truppen mittels Kahlrasierens dafür bestraft wurden, sich mit den Besatzern eingelassen zu haben. Sie sollten öffentlich gebrandmarkt, öffentlich beschämt werden.

Die Fans von Britney Spear scheinen nun zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sie sich gefälligst schämen müsse für ihre erneute Entgleisung. Sie sind sauer, weil ihnen etwas weggenommen wurde, nämlich ein ihnen gewohntes Bild: das kleine, niedliche Mädchen mit dem langen Haar, das hübsche Liedchen trällert und einen festen Platz im Alltag hat, zur Familie gehört. Ob durch das Radio im Auto oder beim Friseur in der Warteschleife, Britney ist immer dabei. Ein Verlust, der mitunter aggressiv macht.

Die Weltöffentlichkeit hat Britney Spears schon zwischen die Beine geglotzt, hat bis in die letzten Windungen an ihrem Privatleben partizipiert – und dies schon fast so lange, wie der ehemalige Kinderstar Spears denken kann. Der plötzliche Blick in ihr nunmehr nacktes Gesicht, in ihre auf einmal riesig und verletzlich wirkenden Augen ist ein Schock. Ein Schock der Intimität, der den Betrachter unmittelbar mit dem eigenen Voyeurismus konfrontiert. Glatze. Schreie. Klinik.