: Inferno im Zug
AUS DELHI BERNARD IMHASLY
Zwei Explosionen in einem Zug Richtung pakistanische Grenze haben in der Nacht auf Montag mindestens 66 Todesopfer und etwa 30 Verletzte gefordert. In der Nähe der Station Dewana, etwa hundert Kilometer nördlich der Hauptstadt Delhi, brach auf einem offenen Streckenabschnitt Feuer in zwei Waggons aus, die rasch ausbrannten.
Der Verdacht, dass die Brände durch Explosionen ausgelöst wurden, verdichtete sich, als zwei Zünder und Sprengstoffspuren sichergestellt wurden. Zwei weitere Brandsätze wurden gefunden, die nicht hochgegangen waren. Es handelte sich um primitive Sprengstoffladungen mit Sodiumnitrat und Benzin, was erklären könnte, dass Passagiere in anderen Wagen keine Explosion hörten.
Fast eine Stunde hatte es gedauert, bis Hilfe von außen kam und Löschzüge eintrafen. Die Rettungsarbeiten wurden dadurch behindert, dass die 16 Wagen des Zugs aus Sicherheitsgründen mit Spezialglas ausgerüstet waren; zudem sind viele indische Züge mit Fenstergittern armiert. Man muss befürchten, dass dies auch die Passagiere daran gehindert hat, sich aus den brennenden Abteilen zu retten, umso mehr, als die Türrahmen in der Hitze sich mit den Türen verschmolzen. Obwohl die Indian Railways immer behaupten, dass das Innere der Züge mit brennsicheren Materialien ausgekleidet ist, war es nicht das erste Mal, dass Züge ausbrannten.
Zu den Opfern gehören auch pakistanische Staatsbürger, die meisten auf der Rückkehr vom Besuch ihrer indischen Verwandten. In Bereich des Bahnhofs von Lahore, wo der Zug – nach Umsteigen an der Grenze – endet, wurde ein Ausgehverbot verhängt. Es sollte verhindern, dass es unter den wartenden Angehörigen der Zugpassagiere zu Ausschreitungen kommt. Der „Freundschaftsexpress“ enthält politische Symbolik, da er einer der beiden Züge ist, die im Rahmen der vertrauensbildenden Maßnahmen einen großen Teil der pakistanischen und indischen Besucher transportiert, die seit der Wiederbelebung des Friedensprozesses vor drei Jahren in immer größeren Zahlen das Nachbarland besuchen. Die Funde von Explosionsmaterial verdichteten damit den Verdacht, dass es sich um einen Terroranschlag handeln könnte, der den Annäherungsprozess zwischen beiden Ländern sabotieren sollte.
Dies war jedenfalls die Interpretation der meisten Politiker auf beiden Seiten der Grenze, die sich zum Unfall äußerten. Der indische Eisenbahnminister wurde mit dem Ausspruch zitiert, bei den Tätern handle es sich um „islamische Terroristen“. Der pakistanische Präsident Musharraf ging nicht so weit, vermutete aber, dass hinter „diesem abscheulichen Terrorakt“ Elemente stecken, die es auf den Friedensprozess abgesehen hätten.
Vor einem halben Jahr wurde der Friedensprozess vorübergehend ausgesetzt, als in Vorortszügen der Stadt Bombay Bomben explodierten, die 186 Menschen in den Tod rissen. Und vor fast genau fünf Jahren brannte im Bundesstaat Gujarat ein Eisenbahnwagen aus, in dem 51 Hindu-Pilger starben. Die Folge war der Beginn einer neuen Eskalation der bilateralen Spannungen.
Indiens Premierminister Manmohan Singh sprach den Angehörigen in Indien und Pakistan sein Mitgefühl aus und versprach rasche Aufklärung, enthielt sich aber einer Anklage. Die Regierung lud pakistanische Experten nach Indien ein, um zur Spurensuche und bei der Identifikation der verstümmelten Leichen mitzuhelfen.
Die Europäische Union hat den Anschlag scharf verurteilt. „Dieser Akt sinnloser Gewalt hat offenkundig zum Ziel, den Annäherungsprozess zwischen Pakistan und Indien zu stören“, hieß es gestern in einer Verlautbarung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Sie „ruft alle Seiten in Indien und Pakistan auf, sich weiterer Gewalt entgegenzustellen und den eingeschlagenen Weg des Dialogs entschieden weiterzuverfolgen“.