: Gesundheit macht korrupt
Der Bremer Untersuchungsausschuss „Klinikskandal“ zieht eine verheerende Zwischenbilanz der Klinik-„Sanierung“
Aus BremenKlaus Wolschner
„Das Gesundheitswesen ist sehr anfällig für Korruption“ – diesen Satz sprach gestern der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Wolfgang Grotheer (SPD) aus. Grotheer, von Beruf Richter, ist seit Wochen in einem Untersuchungsausschuss mit dem Bremer „Klinikskandal“ befasst. „Das wussten wir eigentlich schon vorher“, kommentiert die Ausschussvorsitzende Karoline Linnert (Grüne) trocken. Als das Besondere an dem Bremer „Fall“ bleibt, dass selten das Versagen der staatlichen Aufsicht so haarklein und öffentlich aufgeklärt worden ist.
An Controlling wurde im Grunde nicht gedacht, als die vier kommunalen Kliniken vor drei Jahren in eine privatrechtliche Holding-Struktur überführt wurden. Die normale Kontroll-Funktion von Aufsichtsräten, die sich um ihr Geld oder das der Aktionäre sorgen, versagt bei staatlichem Besitz – und die Bremer Parlamentarier, die in die Aufsichtsräte geschickt wurden, mussten eine Erklärung unterschreiben, nach der sie immer für die Senatsposition stimmen. Sie bekannten im Ausschuss, dass sie ihr Aufsichtsmandat zur Gewinnung von Informationen nutzten und nicht zur Aufsicht über die Gesellschaften.
Am Anfang stand ein zwiespältiges Konzept: Die kommunalen Kliniken sollten in staatlicher Hand bleiben, aus abgrundtiefem Misstrauen gegen behördliche Strukturen aber in eine private Rechtsform überführt werden und nach Maßgabe privater Berater neu strukturiert werden. Die Behörde hat auf Zuruf eines Mitarbeiters aus dem Gesundheitkonzern Fresenius einen Mann als Holding-Chef eingestellt, der in diesem Sinne wirken sollte: Wolfgang Tissen. Wenn man ernsthaft nach seiner „beruflichen Vorgeschichte“ gefragt hätte, wäre der Mann wohl nicht eingestellt worden, meinte Grotheer gestern.
Der Mann, den Tissen als Chef des Klinikums Bremen-Ost nachholte, war Andreas Lindner. Derzeit sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen ein. Sogar die wenigen Zeugnisse, mit denen er sich beworben hatte, waren schlampig gefälscht, hat die Ausschuss-Arbeit ergeben.
Warum Lindner? Tissen, der Holding-Chef, habe ihm erklärt, er wolle wenigstens einen Vertrauten an der Spitze einer der vier Kliniken haben, hatte der verantwortliche Abteilungsleiter der Gesundheitsbehörde, Matthias Gruhl, gesagt. Und Gruhl vertraute Tissen. Lindner sollte sogar zum Chef des größten Bremer Klinikums aufsteigen – weil Tissen das so wollte. Sogar die Gesundheitssenatorin fand das gut, noch im Februar 2006, als die „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen“ schon in einem Papier das Versagen der neuen Führung beschrieben hatte. Die Gesundheitsbehörde wischte damals alle Kritikvom Tisch, weil sie die Umstrukturierung der Kliniken nach privatwirtschaftlicher Denke wollte. Die beiden neuen Chefs waren dafür gut, Kritiker galten als Vertreter des überholten „Personalrats-Denkens“.
Lindner war aber – was er verschiegen hatte –nicht nur einschlägig vorbestraft, sondern gleichzeitig auch geschäftsführender Gesellschafter der Privat-Klinik Siekertal und beteiligt an diversen dubiosen Beratungsfirmen, mit denen er dann als Chef des kommunalen Klinikums Bremen-Ost Millionen-Geschäfte machte. Lindner organisierte eine „Günstlingswirtschaft“, band damit auch Chefärzte ein, „kriminell“ und „korrupt“, sagt die Vorsitzende Linnert. Gerade ist Lindners Haftbeschwerde zurückgewiesen worden.
Holding-Chef Tissen kommt aus dem Fresenius-Konzern, Lindner pflegte als Klinik-Chef einen engen Draht zum Klinikunternehmer Ulrich Marseille. Als er in Bremen rausgeflogen war, wurde er von der Marseille-Gruppe sogar mit großem Vertrauen kurzfristig in eine leitende Position eingesetzt. Wie sind die Beziehungen der Bremer Manager zu den privaten Klinik-Konzernen?
Immerhin sollen in Bremen 200 Millionen Euro Modernisierungs-Investitionen privat finanziert werden, das größte Klinikum soll sich dafür vertraglich auf 30 Jahre an den Geldgeber binden. Aus der Fresenius-Ecke kam der Tipp auf den Holding-Chef Tissen, aus der Fresenius-Ecke kamen die Experten, die die 200-Millionen-Investition vorbereiteten, aus der Fresenius-Ecke kommen Bewerber für den Zuschlag – wer sollte da nicht Böses denken?
Bevor es einen Zuschlag für das 200-Millionen-Projekt an einen privaten Partner gibt, so hat es Bremer Senat gestern im Lichte der Ausschuss-Ergebnisse beschlossen, sollen das Vergabeverfahren und seine Wirtschaftlichkeits-Voraussetzungen noch einmal überprüft werden.