: Chemiefabrik weicht neuer Landebahn
Das Werk der Ticona AG war bislang eines der größten Hindernisse für den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Jetzt haben sich Fraport und der Besitzer der Anlage auf einen Umzug geeinigt. Die 650 Millionen Euro dafür berappt auch der Steuerzahler
AUS FRANKFURT AM MAINKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Eine Chemiefabrik auf knapp 50 Hektar Betriebsgelände wird für 650 Millionen Euro komplett verlagert. Darauf haben sich in der Nacht zum Dienstag die Vorstände der Frankfurter Flughafenbetreibergesellschaft Fraport AG und der Ticona AG geeinigt. Damit ist der mutmaßlich größte Stolperstein auf dem Weg zum Bau einer neuen Landebahn wohl aus dem Weg geräumt.
Die Störfallkommission des Bundes hatte 2004 die Auffassung vertreten, dass die geplante Nordwestbahn am Flughafen nicht gebaut werden könne, weil das Chemiewerk dann mit erhöhtem Absturzrisiko nahezu direkt überflogen werden müsse. Auch Ticona selbst legte im Rahmen des Anhörungsverfahrens Widerspruch gegen den avisierten Bau der Nordwestbahn ein.
Der wurde der Firma jetzt für rund 650 Millionen Euro abgekauft. So viel soll der Umzug der Chemiefabrik wahrscheinlich auf das ehemalige Hoechst-Gelände die Fraport AG kosten. Deren größte Anteilseigner sind der Bund, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt am Main. Treibende Kraft hinter dem Deal war der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der sich bereits im August 2000 für den Bau der Nordwestbahn ausgesprochen und alle anderen Ausbauvarianten verworfen hatte.
Koch handelte mit dem Mehrheitsaktionär der Ticona, der US-Investmentgesellschaft Blackstone, die Modalitäten für die Verlagerung der Produktionsanlagen aus. Danach soll das Chemieunternehmen bis Mitte August 2011 sein Werk in Kelsterbach schließen und anschließend binnen einem Monat alle Luftfahrthindernisse beseitigen. 2015 soll dann das Gelände endgültig der Fraport AG übereignet werden. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu entsteht bereits ein neues Frachtzentrum für den Flughafen.
Koch zog denn auch gestern in Wiesbaden zufrieden das Fazit: „Mit dieser Übereinkunft haben sich vorhandene zeitliche und rechtliche Risiken erledigt.“
Fraport-Chef Wilhelm Bender sagte, dass für die Mitarbeiter der Ticona, die „aus welchen Gründen auch immer“ nicht mit nach Höchst wechseln könnten oder wollten, eine Beschäftigungsgesellschaft gegründet werde. An deren Finanzierung werde sich auch das Land Hessen beteiligen. Bender versicherte, dass die Fraport AG alle Arbeitnehmer, die dann noch keinen neuen Job gefunden hätten, selbst übernehmen werde.
Der SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Jürgen Walter, befürchtet dennoch, dass es im Rahmen der Umsiedelung zu Arbeitsplatzverlusten „auf Raten“ kommen könne. „Es war ein haarsträubender Fehler, das Sicherheitsrisiko Ticona zunächst völlig zu ignorieren“, so Walter auch mit Blick auf die Kosten.
Auch die Bündnisgrünen machten gestern auf die jetzt auf 4 Milliarden Euro angestiegenen Gesamtkosten für den Ausbau aufmerksam. Diese dokumentierten, dass der Flughafenausbau in einem dicht besiedelten Ballungsraum auch ökonomisch „ein Irrsinnsprojekt“ sei, so der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, Frank Kaufmann. Der Naturschutzreferent des BUND Hessen, Thomas Norgall, sagte der taz, dass der Kampf gegen den Landebahnbau dennoch weitergehe. Norgall räumte allerdings ein, dass mit der Umsiedelung der Ticona AG „ein wichtiger strategischer Baustein im Widerstandsgefüge weggebrochen“ sei.