: Schritt zur „Agrarrevolution“ in Bolivien
Boliviens Senat stimmt den lange umstrittenen Agrarreformplänen des linken Präsidenten Evo Morales zu
PORTO ALEGRE taz ■ Einen der monatelang schwelenden Konflikte mit der Opposition hat Boliviens linker Präsident Evo Morales zu seinen Gunsten entschieden: Überraschend stimmte vorgestern der von den Konservativen beherrschte Senat mit 15 von von insgesamt 27 Stimmen dem Gesetzentwurf der Regierung zur Landreform zu. Die Oppositionsparteien hatten die Abstimmung eine Woche lang boykottiert, doch nun ermöglichten ein rechter Senator und zwei eilig zugelassene Nachrücker die Reform. Die Regierung habe die Abtrünnigen gekauft, hieß es prompt aus dem rechten Lager.
„Nun haben wir das legale Instrument, um mit den Großgrundbesitzern in Ostbolivien aufzuräumen“, rief Morales vor tausenden Kleinbauern und Indígenas, die in den letzten Wochen aus verschiedenen Provinzen nach La Paz gezogen waren. „Es ist schwer, die Armen und die indigenen Völker zu verteidigen, aber zum Glück sind wir geeint, organisiert und mobilisiert“, sagte Morales, der das Gesetz als Auftakt zu einer „Agrarrevolution“ mit einer Mechanisierung und biologischem Landbau in großem Stil bezeichnete. Die DemonstrantInnen feierten bis in den frühen Morgen.
„Dieses Gesetz garantiert, dass Banken nie mehr an unseren Gebieten und Wäldern verdienen werden, während unsere indigenen Völker zu Elend und Ausbeutung verdammt sind“, sagte Staatssekretär Alejandro Almaraz, der das Projekt vorangetrieben hatte. Bisher hätten zehntausende Hektar brachgelegen und Urwälder im Internet angeboten worden: „Diese traurige Geschichte ist Vergangenheit.“ So weit ist es aber noch nicht: Der schwierigste Teil von Landreformen ist bekanntlich deren Durchsetzung. In Bolivien soll nun brachliegendes Land künftig unter staatliche Verwaltung gestellt und dann verteilt werden. Sämtliche Farmen sollen zudem alle zwei Jahre auf Produktivität hin überprüft werden. Vor allem wegen dieser Maßnahme befürchten die Großbauern aus Santa Cruz „illegitime“ Enteignungen.
Vor der Abstimmung hatte einer von ihnen, der Senator Oscar Ortiz, erklärt, die Enteignung von unproduktivem oder illegal erworbenem Land sei bereits nach den bisherigen Bestimmungen möglich. „Wir müssen mit der politischen Show aufhören“, argumentierte er, „es gibt Leute, die produzieren. Die Lebensmittel fallen doch nicht vom Himmel.“
Letzte Woche hatten die Großagrarier der wohlhabenden ostbolivianischen Provinz demonstriert und zum Hungerstreik aufgerufen, doch die Oppositionsfront, die sie im ganzen Land aufbauen wollen, zeigt schon deutliche Risse. Die Bereitschaft, für die Forderungen des Agrobusiness in den „zivilen Widerstand“ zu gehen, sei zumindest in den Hochlandprovinzen La Paz und Chuquisaca gering, mussten die dortigen Gouverneure einräumen.
In dem Jubel um die Agrarreform ging fast unter, dass die Regierungspartei „Bewegung zum Sozialismus“ (Mas) in der Hauptstadt Sucre erneut die umstrittenen Abstimmungsmodalitäten abgesegnete, die schon vor zwei Wochen zu Protesten im ganzen Land geführt hatten. Demnach können Morales' Parteifreunde die neue Verfassung praktisch im Alleingang ausarbeiten – erst zur Verabschiedung des Gesamttextes soll die gesetzlich vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit zum Tragen kommen.
GERHARD DILGER