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Archiv-Artikel

Komischer Politiker

SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW Wie es der Spaßvogel Jon Gnarr zum Bürgermeister von Reykjavík brachte

Ilija Trojanow

■ ist Schriftsteller und Weltensammler. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Juli Zeh: „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“ (Hanser Verlag, 2009).

Alle Jahre wieder sterben in Island die Eisbären aus. Es hat sich unter ihnen nicht herumgesprochen, dass jeder Bär, der sich auf diese Insel verirrt, umgehend erschossen wird. Deswegen gibt es dort im Zoo keine Eisbären, was auch daran liegen könnte, dass die Hauptstadt Reykjavík (auf Deutsch: die Rauchbucht) keinen Zoo besitzt. Weswegen es durchaus sinnvoll war, dass die „Beste Partei“ die letzten Kommunalwahlen mit dem Versprechen bestritt, einen Zoo samt Eisbären einzurichten (die zweite zentrale Forderung waren kostenlose Handtücher in den öffentlichen Schwimmbädern).

Ein wenig überraschend gewann diese „Partei“ die Wahlen. Nun stellt sie mit Jon Gnarr, einem bekannten Punkmusiker und Komiker, den Bürgermeister Reykjavíks. Gnarr – ein Pseudonym – trägt eine halbe Punkfrisur (an den Seiten Bürstenschnitt, auf dem Scheitel eine blonde Locke) und definiert Punk als die Kunst, das zu tun, was man am wenigsten kann. Darin ist er zweifellos unschlagbar, denn er spielt weder ein Instrument, noch mag er Musik wirklich. Auf dem professionell gemachten Wahlspot der Partei singen alle möglichen Popstars Islands nacheinander und miteinander „Simply The Best“ – mitten unter ihnen Jon Gnarr in der Rolle von Michael Jackson beim einstigen Welthit „We are the World“ – er rezitiert seinen Text mit souveräner Missachtung üblicher gesanglicher Konventionen: „Wir sind die Besten, selbst wenn wir es nicht sein sollten.“ Gnarr ernst zu nehmen, wäre absurd, seine Komik als unseriös abzutun, wäre ein grober Fehler.

Osterheiterung und Korruption

Diese Woche war Jon Gnarr zu Besuch in Wien. Statt den Stadtoberen im Rathaus die Hand zu schütteln, hielt er sich lieber in der Augartenstadt im 2. Bezirk auf. Dessen Bürgermeister, der blinde Akkordeonist und Komponist Otto Lechner, steht seinem etwa 99-köpfigen Stadtrat nicht vor: Die Magistrate walten vielmehr autonom-anarchisch und sind zuständig für Bereiche wie „Osterheiterung und intergalaktische Angelegenheiten“ oder „Kitsch und Korruption“ (was hervorragend zum Besucher aus Reykjavík passt, denn sein Wahlprogramm beinhaltete auch die Forderung: offene statt heimliche Korruption).

An mehreren Abenden stand Jon Gnarr Rede und Antwort: ausnehmend höflich, gelegentlich juxig und gegen Ende nachdenklich und fast traurig. Auf jede Frage nach einem Rezept reagierte er mit einer freundlichen Verweigerung. Die „Beste Partei“ habe das Programm, kein Programm zu haben, sie könne daher auch keine Ratschläge erteilen. Nach dem Finanzcrash habe er aus Zorn und Frust völlig unsinnige Analysen über die katastrophalen Vorgänge geschrieben, die für viele Leser einleuchtender gewesen wären als die Erklärungen in den etablierten Medien (das kann jeder sofort nachvollziehen, der schon einmal über die Prognosen der unglücklich benannten „Analysten“ den Kopf geschüttelt hat).

Die Groteske sei seit je die angemessene Reaktion auf die Realitäten gewesen; für ihn sei kaum etwas so sinnig wie die Theaterstücke von Samuel Beckett und Eugène Ionesco. Die offizielle Politik sei so lächerlich, man könne sich nur über sie lustig machen – was nach der Krise von vielen in Island goutiert wurde, selbst im Establishment. Gnarr war nach eigenem Bekunden der populäre Hofnarr, der für Heiterkeit und Entspannung sorgte.

Hape Kerkeling im Rathaus?

Dies könne in deutschsprachigen Landen nicht passieren, darüber waren sich alle in Wien einig: Politik habe seriös zu sein und mehr als ein wenig büttenrednerische Floskelei sei nicht gestattet – Humor kommt in der Politik nur in seiner unfreiwilligen Form vor. Dass Hape Kerkeling oder Josef Hader hierzulande mit einer Verarschung der Berufspolitiker von der Bühne direkt ins Rathaus einziehen könnten, ist schwer vorstellbar. Doch in Reykjavík geschah, was zunächst niemand erwartet hatte: der Hofnarr wurde so beliebt, er ersetzte schließlich den König.

Schwer sei die neue Aufgabe nicht, sagt Gnarr: die Behauptung, man müsse über viel Erfahrung und Kompetenz verfügen, sei eine Mär. Allerdings hat er nun keine Zeit für Punk, Sitcoms oder „Die Nashörner“. Eher für Eisbären, gemäß dem Auftrag der Wähler. Aber dieses Versprechen konnte die „Beste Partei“ wie viele andere auch in den ersten neun Monaten an der Macht noch nicht erfüllen – aus einem einfachen Grund: Geldmangel.

Beim Geld hört der Spaß auf

In Island geschah, was niemand erwartet hatte: Der Hofnarr wurde so beliebt, dass er schließlich den König ersetzte

Auch ein gewitzter Bürgermeister steht in Zeiten wie diesen einem geschrumpften Budget vor. Gewagtere Schritte zur Finanzierung (etwa eine eigene Währung einführen oder Börsengewinnler zur Kasse bitten) schweben ihm nicht vor – eine radikalere Politik jenseits der Rhetorik kommt allein in seiner Forderung zum Ausdruck, alle Naturschätze des Landes müssten dem ganzen Volk gehören.

Je länger Jon Gnarr erzählt, von den Provokationen der Wahlkampagne und den Belastungen des bürgermeisterlichen Alltags, desto mehr gewinnt man den Eindruck, dass der Wahlkampf der Höhepunkt seiner politischen Kreativität und Selbstverwirklichung war. „Art goes Politics“ – das funktioniert am besten, solange es öffentlich inszeniert werden kann. Im Verwaltungsalltag reduzieren sich die Optionen auf die Entscheidung, ob man zwei Kindergärten zu einem zusammenschließen soll, um so zu retten, was gegenwärtig noch gerettet werden kann. An den grundsätzlichen Strukturen rüttelt die Spaßpartei kaum. Daher überrascht es nicht, dass Gnarr sich inzwischen ernsthaft fragt, ob sich der Aufwand gelohnt hat – oder ob er nicht einen Fehler begangen hat, als er die Seiten wechselte.

An den Parlamentswahlen werde er nicht teilnehmen; eine zweite Amtszeit schwebe ihm momentan nicht vor. Als einer der Organisatoren bemerkte, mit den Mitteln der Spaßpartei könne man Katastrophen wie jener in Japan nicht begegnen, widersprach niemand. Auch wenn manch einer sich dachte, dass Scherz und Ironie verhindern können, dass es so weit kommt. So gigantomanisch ist die menschliche Hybris, dass sie nicht oft genug durch den Kakao gezogen werden kann.