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Archiv-Artikel

„Das ist visuelle Schwerarbeit“

OPTIK Zu viel Bildschirmarbeit wirkt auf die Augen wie Zucker auf Zähne, sagt die Bremer Sehtrainerin Barbara Brugger – und erklärt, inwiefern regelmäßige Übungen, ein Poster und weniger Zeit am PC die Augen putzen

Barbara Brugger

■ 43, spezialisierte sich als Sehtrainerin auf die Prävention von Sehbeschwerden bei der Computerarbeit. Sie lebt in Bremen.

INTERVIEW HENNING BLEYL

taz: Frau Brugger, worin besteht die Gemeinsamkeit zwischen Karies und Bildschirmarbeit?

Barbara Brugger: Weder Bildschirme noch raffinierter Zucker kommen in der Natur vor. Ein übermäßiger Gebrauch ist ungesund – daher der Vergleich. Am Bildschirm muss das Auge mit konstantem Abstand auf immer die gleiche Stelle starren, nur ein winziger Ausschnitt der Netzhaut ist aktiv. Noch schlechter wird es, wenn man am Bildschirm unter Stress arbeitet: Stress macht die Pupille weiter. Um trotzdem scharf sehen zu können, muss sich das Auge dann doppelt anstrengen. Das ist visuelle Schwerarbeit.

Wie kann man das ausgleichen?

Der Blick auf den Bildschirm hält das Auge unter Dauerspannung, der Ringmuskel um die Augenlinse entspannt sich erst wieder beim Weitgucken, etwa ab sechs Meter Entfernung. Deswegen ist es wichtig, den Blick oft aus dem Fenster schweifen zu lassen, viel zu blinzeln und nach Möglichkeit auch mal in eine dunkle Ecke zu schauen.

Warum ins Dunkle?

Wenn man in eine Lichtquelle schaut, nimmt das mehr Sehkraft in Anspruch. Die Augen verbrauchen über die Zellmembrane mehr Nährstoffe, zum Beispiel Seh-Purpur – der Stoff, der den Nervenimpuls in der Sehzelle auslöst. Das ist bei Bildschirmen der Fall, aber auch weißes Papier kann bei direkter Sonneneinstrahlung stark reflektieren.

Dann ist ja gut, dass es bei der taz nur Recyclingpapier gibt. Hilft am Bildschirm eine Brille?

Es gibt keine „Entlastungsbrille“. Eine Brille soll man dann verwenden, wenn man sie ohnehin braucht – wenn die Augen also auf die Bildschirmdistanz von Anfang an unscharf sehen und nicht erst, nachdem sie ermüdet sind. Es macht keinen Sinn, die Augen zu manipulieren, damit man länger am PC arbeiten kann. Was die Augen wirklich brauchen, sind kurze, regelmäßige Übungen. Ebenso wichtig sind die ergonomischen Rahmenbedingungen: Auch Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich beeinträchtigen die Augendurchblutung.

Für Übungen muss man sich Zeit nehmen. Und manchmal auch eine Scheu überwinden – etwa im Großraumbüro.

Ein Augenposter, das Übungen am Arbeitsplatz anregt, kann Hemmschwellen abbauen: Wenn es da hängt, impliziert das, dass man sich um seine Augen kümmert. Es gibt auch sehr unauffällige Übungen: Wenn man sich bei geschlossenen Augen vorstellt, man schaue übers Meer, und dann auf ein Eis in der Hand, bewegt sich die Linse und entspannt.

Wie groß ist die Bereitschaft in den Unternehmen, in die Gesundheitsvorsorge ihrer Angestellten zu investieren?

Da geht die Schere weit auseinander. Auffällig ist beispielsweise, dass ich in Norddeutschland viel weniger Aufträge für Sehtrainings bekomme als im Süden. Diese Erfahrung machen auch KollegInnen in anderen Gesundheitsbereichen.

Dann ist Bremen ein ziemlich ungünstiger Firmensitz für Sie.

Eigentlich schon. Trotzdem lebe ich gerne hier und nehme die vielen Reisen in Kauf. Derzeit schule ich beispielsweise die MitarbeiterInnen einer großen Behörde in München, weil dort die elektronische Akte eingeführt wird.

Können Übungen und geänderte Gewohnheiten die ausufernde Bildschirmarbeit komplett auffangen?

Man kann einiges abfedern, wobei man eben auf die Summe der Beanspruchungen achten muss. Durch die Zunahme von Bildschirmbeschäftigungen aller Art nehmen Sehstörungen wie Kurzsichtigkeit oder die Altersweitsichtigkeit stark zu. Früher wurden Lesebrillen mit 50 oder 60 Jahren verschrieben, heute geht das bereits bei 40-Jährigen los.

Ist also eine Obergrenze für Bildschirmarbeit erforderlich?

Bei meinem Münchener Kunden gibt es jetzt eine Dienstvereinbarung: Nach 50 Minuten Bildschirmarbeit sind zehn Minuten Pause fällig. Auch die Bildschirmverordnung sieht regelmäßige Pausen vor. Aber die Frage ist natürlich: Wer macht das? Wenige. Die Chinesen machen Tai Chi, Japaner kennen und – akzeptieren! – den Sekundenschlaf am Arbeitsplatz. Bei uns muss sich eine Kultur der aktiven Entspannung erst noch entwickeln.

Gesetzlicher Arbeitsschutz hilft dabei nicht?

Einen Grenzwert für die Dauer der beruflichen Bildschirmarbeit festzulegen, halte ich für falsch. Wir brauchen einen anderen Ansatz: Der Arbeitgeber sollte für ergonomische Ausstattung sorgen und dafür, zeitlich wie örtlich, Räume für einen angemessenen Ausgleich schaffen. Die Arbeitnehmer müssen Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen, beispielsweise in der Freizeit einen maßvollen Umgang mit digitalen Medien pflegen. Ein Fernseher ist zwar etwas weiter von den Augen entfernt als ein PC-Bildschirm, trotzdem ist dort der Effekt: Alles entspannt sich– außer die Augen.

Augenübungen: www.ecovital.de/gut-zu-wissen/auge-und-sehen.html