Keine Absage an Sippenhaft

Die Bürgerschaft lehnt vereinfachtes Bleiberecht für langjährig Geduldete ab. ‚Mangelnde Mitwirkung‘ im Ausländeramt kostet Familien weiter das Aufenthaltsrecht – auch nach Jahrzehnten

Von Christian Jakob

Familien mit minderjährigen Kindern werden auch künftig von der neuen Bleiberechtsregelung ausgeschlossen bleiben, wenn einzelne Familienmitglieder nach Einschätzung der Ausländerbehörde nicht ausreichend kooperiert haben. Ein Antrag der Grünen Bürgerschaftsfraktion, der diese Praxis stoppen sollte, scheiterte in der gestrigen Bürgerschaftssitzung an den Stimmen von CDU und SPD.

Das Kindeswohl müsse zentrales Kriterium bei der Vergabe von Aufenthaltsberechtigungen an Familien mit „Kettenduldungen“ sein, hatten die Grünen ihren Antrag begründet. Die Ausweisung von Familien, weil Eltern einzelnen Verpflichtungen aus ihrem Asylverfahren nicht nachgekommen seien, sei einzustellen, so Grünen-Innenexperte Matthias Güldner. „Kettenduldungen bedeuten einen unerträglichen Wartezustand.“

„Wir können Schwerkriminelle nicht nur deswegen dulden, weil sie hier Kinder haben“, begründete Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) seine Ablehnung des Grünen-Vorstoßes. Dies käme einer Immunisierung ausländischer Straftäter gleich. Deshalb werbe er bei anstehenden Beratungen im Bundesrat für die Möglichkeit, künftig Minderjährigen ab 14 Jahren ein Bleiberecht geben zu können, auch wenn ihre Eltern abgeschoben werden. Dies sei „im Interesse gut integrierter Kinder“.

Die 17-jährige kurdische Libanesin Meryem Demir aus Bremerhaven ist ein solches „gut integriertes Kind“. Sie wuchs in Deutschland auf und macht voraussichtlich im Juni an der Heinrich-Heine Gesamtschule in Bremerhaven ihren Realschulabschluss. Die Ausländerbehörde wirft ihren Eltern vor, bei der Einreise im Jahr 1990 einen türkischen Registereintrag nicht angegeben zu haben. Die Eltern streiten die Existenz dieses Eintrages ab. Dessen Nicht-Erwähnung gilt als „Verletzung der Mitwirkungspflicht“ bei der Ausländerbehörde. Deswegen soll die gesamte neunköpfige Familie nach Meryem Demirs Schulabschluss in die Türkei abgeschoben werden.

Die Schülerin war gestern mit ihrer Mutter nach Bremen gekommen, um die Bürgerschaftsdebatte zu verfolgen. Dass Röwekamp von „Schwerkriminellen“ spricht, wo vielen Betroffenen nur mangelnde Zusammenarbeit mit der Ausländerbürokratie vorgeworfen wird, nennt sie eine „Show“. „In meiner Familie gibt es keine Kriminellen. Unser ganzes Leben waren wir hier – und noch nie in der Türkei.“ Röwekamps Vorstellung, Kindern wie ihr ohne die Eltern ein Bleiberecht zu gewähren, lehnt sie ab. „Ich verstehe nicht, wie er das vorschlagen kann. Ich will selbstverständlich nicht alleine hier bleiben.“

Im November hatten die Innenminister der Länder den so genannten „Bleiberechtskompromiss“ beschlossen. Demnach können geduldete Einzelpersonen, die länger als acht, und geduldete Familien, die länger als sechs Jahre in Deutschland leben, eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Sie müssen dazu ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und dürfen nicht nicht gegen Gesetze oder ihre „Mitwirkungspflicht“ verstoßen haben. Da Geduldete nur in seltenen Ausnahmefällen arbeiten dürfen, stellt die selbständige Sicherung des Lebensunterhaltes eine große Hürde dar. In Bremen haben bisher rund 300 Geduldete einen entsprechenden Antrag gestellt, 27 Aufenthaltsgenehmigungen wurden ausgestellt.