: Betäubende Feierlichkeiten
Der Norddeutsche Lloyd begeht seinen 150. Geburtstag, obwohl er längst Geschichte ist. Die Bremer trösten sich mit opulenten Veranstaltungen über den fusionsbedingten Verlust der Reederei hinweg, die siegreichen Hamburger sonnen sich im historischen Glanz des einstigen Erzrivalen
VON HENNING BLEYL
Große Schwestern auszustechen ist ein feine Sache. Der Norddeutsche Lloyd (NDL) freute sich königlich, als er um die Jahrhundertwende die fünf Jahre ältere „Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (Hapag) auf allen Weltmeeren hinter sich ließ. Die Schiffe des Lloyd waren die schnellsten und schönsten, das Design der Luxusdampfer von legendärer Eleganz, der Gewinn des „Blauen Bandes“ 1898 als Trophäe für die schnellste Atlantik-Überfahrt galt gar als nationaler Triumph – Hapag hatte vergeblich versucht, mit der „Deutschland“ im Dampferduell mitzuhalten.
Auch derzeit ist Bremen im NDL-Fieber: Große Essen werden gegeben, eine Ausstellung jagt die nächste – der Umfang der Aktivitäten zeigt im Umkehrschluss, wie groß das Verlustgefühl noch immer ist. Denn Bremen ist längst keine Lloydstadt mehr. Nichtsdestotrotz wird der 150. Geburtstag der seinerzeit weltgrößten Reederei mit allem Aufwand gefeiert.
Die letzte real life-Zuckung des Lloyd vor zwei Jahren war gleichzeitig der Todesstoß: Bremen wurde juristisch eliminiert, gelöscht als Eintrag im Handelsregister. Der Akt war derart überfällig, dass er der TUI, die Hapag-Lloyd (HL) ihrerseits mittlerweile geschluckt hat, nicht mal eine Mitteilung wert war. Schon 1970, nach 113 Jahren heißer Konkurrenz auf hoher See, hatten die Reederei-Giganten fusioniert, behielten aber zwei Firmensitze. Wobei sich das Geschäft zunehmend nach Hamburg verlagerte.
In Bremen ist der Vorgang als „Hapag/Lloyd-Syndrom“ sprichwörtlich geworden. Die Befürchtung, bei gemeinsamen Unternehmungen früher oder später den Kürzeren zu ziehen, ist immer virulent, etwa beim Thema Sparkassen. Derzeit aber betäubt sich Bremen mit Feierlichkeiten aller Couleur. Vor dem Rathaus, das dieser Tage mit Schaffermahl und Merkel-Besuch ohnehin von einem Festessen zum nächsten taumelt, drängeln sich wie glänzende Aalleiber die schwarzen Karossen. Beim Blick auf deren Kennzeichen zeigen sich sofort die heutigen Machtverhältnisse: Ein bisschen „HB“, ganz viel „HH“, nicht zu vergessen eine besonders dicke „H“-Karosse – TUI-Chef Michael Frenzel will sich den Schmaus nicht entgehen lassen. Als einzigartige historische Kulisse hat die Stadt noch nicht ausgedient.
HL-Chef Michael Behrendt bringt ein Trostpflästerchen mit: Nächstes Jahr soll ein Container-Riese auf „Bremen Express“ getauft werden – eine Ehre, die sich Bremen allerdings mit so wenig seetauglichen Städten wie Hannover teilen muss. Außerdem ist auch die Taufpolitik ein hochpolitisches Terrain: Der NDL legte seine „Bremen“-Schiffe – wegen ihrer Schornsteine die „Gelbhälse“ genannt – als schärfste Waffe gegen die Hamburger Konkurrenz auf Kiel. Und ausgerechnet der HL-Chef lässt es sich beim Mahl nicht nehmen, auf den legendären „Lloyd-Geist“ als Zeichen einer „einmaligen Verbindung zwischen einer Reederei und ihrer Region“ zu verweisen.
Dass die Region dem Geist abhanden kam, ist für Bremen nicht nur ein nostalgischer Befund. So gut wie alle Großindustrien des Stadtstaates wurden auf Initiative und mit den Mitteln des Lloyd gegründet: die Stahlwerke, die „Norddeutsche Automobil- und Motoren AG“, die via Borgward zum Vorgänger des heutigen Mercedes-Werkes wurde – Bremens größtem Arbeitgeber – oder „SDN Atlas“, der Rüstungselektronikriese. Lloyd fungierte in Bremen als ideeller Gesamtkapitalist.
Der Firmen-Slogan zeugt nicht von Kleckern: „Unser Feld ist die Welt“. Das war keineswegs übertrieben: Der NDL bestückte nicht nur die transatlantischen Reichspostdampferlinien, sondern sorgte auch für regelmäßige Verbindungen nach Australien und Ostasien. Das Selbstverständnis des Hauses ist insbesondere an den Plakaten abzulesen, die es für sein Kreuzfahrtsegment entwickelte: Es sind Wunderwerke der damaligen Werbegraphik, allesamt von namhaften Gestaltern kreiert. Erstmal sind sie jetzt (im Bremer Übersee-Museum) zu sehen – und lassen keine Wünsche offen. Jedwede denkbare Destination ist mit graphischem Elan symbolisiert: ein riesiger Kamelkopf lädt zur Mittelmeerfahrt, blauschimmernde Eisberge locken in die Arktis, auch die „Levante-Linie“ verbreitet ihren griechischen Lokalappeal – und immer schwimmt klein, aber voll selbstbewusster Distinktion, der Lloyd-Liner im Hintergrund.
Zurück in die Nostalgielosigkeit: Von 4.000 Hagag-Lloyd-Angestellten sitzen noch ganze 13 in Bremen, aber immerhin ist der Gesamtkonzern auf Kurs. Während im oberen Saal die Vorstände tafeln, treffen sich zwei Stockwerke tiefer aktuelle und Ex-MitarbeiterInnen. Der Ratskeller ist bis auf den letzten Platz gefüllt, aber „ein Heizerwalzer war das nicht“, wie ein alter Käpten am nächsten Tag erzählt – die Feten an Bord und im Maschinenraum hatten wohl ein anderes Kaliber. Mit anderen Worten: Auch der aktuelle Bremer Lloyd-Rausch ist bald ausgeschlafen.