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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen 1:0 für die juckenden Bärte

Ein wahrer Sturzbach an Filmen, Ausstellungen, Kongressen und Theaterstücken zum Thema RAF ist über unser Land hereingebrochen, seit das Kölner Pop-Duo BKCY (Bum Khun Cha Youth) Ende der 90er „Feelings“ aufnahm, ein Euro-Dance-Album zu den Themen Terror und Tiere. Die Wirkung ist bemerkenswert, vor allem weil die Platte bis heute nicht erschienen ist und sich so einer breiten Öffentlichkeit meerjungfräulich entzieht. Aber wir erinnern uns an die erste Velvet Underground: Nur 1.000 Leute kauften sie, aber jeder von ihnen gründete eine Bande.

Als Linus Volkmann und Uli Nachtigall noch eine vom Post-Rock geprägte Vision ihrer Lieder hatten, gab es bei der BKCY noch einen Bassisten namens Felix und mich am Schlagzeug. Von den wenigen Proben ist mir in Erinnerung, das Linus, aufgerieben von seiner Redakteursstelle bei Intro, immer sofort nach Hause wollte, während Uli beim Versuch, mir meinen Part zu verdeutlichen, in Rage geriet: „Einen einfachen Dobser-Rhythmus sollst du spielen, ist das denn so schwierig?“ Viel später erfuhr ich, dass in einem Teil Baden-Würtembergs Kinder, wenn sie einen Ball prellen, dazu „dobsen“ sagen. Uli wollte damit wohl einfach einen ganz graden Beat andeuten. Dann kam das 80s-Revival, die Band wurde gesund geschrumpft und ich nach Berlin geschickt.

Heute sind Uli, Linus und Felix zu Besuch, denn im Golden Gate steigt die Book-Release zu der Anthologie „Driving Home for Christmas“, zu der Linus als Autor und die BKCY als Tanzkapelle geladen ist. Als wir ankommen, liest schon jemand vor, wie das bei ihm so aussieht, Weihnachten zu Hause. Der Vortrag ist schriftstellermäßig: lakonistisch, prätentiös, mit extra langen, peinlich laut gluckernden Trinkpausen und Sätzen wie „Nachts träumte ich, ich würde verfolgt, wovon weiß ich nicht mehr.“ Ah, wirklich?

Dann endlich Linus. Jetzt, wo er auf der Bühne sitzt, bemerke ich erst seinen beinahe unsichtbar hellen Schnurrbart. „Wie ihr seht, habe ich nun einen Bart. Ich muss sagen, er juckt ziemlich. Wenn ich ihn mir abnehme, habe ich ihn gleich noch mal als Flechte.“ Dann folgt seine Weihnachtsgeschichte, zum Glück kein sensibel wägendes Gewäsch, sondern eine klare, lustige Abrechnung mit der Provinz.

Als BKCY ihren ersten Hit, „Hungern gegen den Staat“ spielen, sind die Leute auf der Tanzfläche bereits brechend voll

JENS FRIEBE