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Archiv-Artikel

Ich bin so wild nach deinem Wuschelhaar

Der Lärm und seine Wächter: Die britische Band „The Kooks“ und ihre Fans brachten in der Gleishalle selbst den Beton zum Schwingen. Allein ein ordnungsliebender Herr auf der Bühne irritierte ein wenig zwischen den jungen Musikern

Die „New Kids On The Block“-Kappe auf dem Kopf eines The-Kooks-Fans auf deren Berliner Konzert muss seiner älteren Schwester gehören. Denn als die Boygroup aus Boston Anfang der 90er ihre größten Erfolge feierte, war der Kooks-Fan höchstens sieben.

Das erfolgreichste NKOTB-Album „Step By Step“ erschien 1990. Sechzehn Jahre ist das jetzt her – und schon ist das Merchandising von damals wieder tragbar – natürlich nur „ironisch“. Ein Beleg dafür, dass alles immer schneller wiederkommt (die No Angels werden in vierzehn Monaten zurückerwartet), vor allem aber, dass man als Teenager wesentlich peinlichere Bands gut finden kann als The Kooks.

Es funktionierte wie auf Knopfdruck: Vom ersten Takt des Konzertopeners „Seaside“ an zeigten sich die Fans der vier jungen Männer aus Brighton ungeheuer ausgelassen. Schon beim zweiten Song „See The World“ bebte der Betonboden der ausverkauften Gleishalle im Postbahnhof wie der Schwingboden einer Turnhalle. Unterstützt wurde die springende, tanzende Meute dabei von der Soundanlage, deren infernalischer Lärm am Dienstagmorgen an Berliner Gymnasien durchaus Ursache fürs Fehlen des einen oder anderen Schülers gewesen sein könnte – zur Freude der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte: Sprechstunde statt Deutschstunde.

Doch schon nach dem vierten Song bekam die Party einen Dämpfer durch den Auftritt eines Herren, der offensichtlich nicht zur Band gehörte. Dafür war er ungefähr 15 Jahre zu alt, die Haare zu kurz und sein Deutsch zu gut. Wie der Polizist, der befiehlt, wegen Beschwerden der Nachbarn die Anlage runterzudrehen, forderte der Mann alle Konzertbesucher auf, einen Schritt zurückzutreten, um den Druck von der Bühne zu nehmen. „Wenn ihr da hinten nicht zurückgeht, können die hier vorne nicht zurückgehen. Ist doch logisch, oder?“ Sein Anliegen mag ehrenwert gewesen sein, sein Oberlehrerton war eine Frechheit. Dementsprechend waren auch die Reaktionen auf diese Maßregelung: Buhrufe und andere Verwünschungen.

Danach spielten die Kooks eine neue Nummer, deren Titel Sänger Luke Pritchard für sich behielt. Im Anschluss, als man gerade dachte, er wäre mal kurz pinkeln gegangen, stand schon wieder der Oberlehrer auf der Bühne und verbat auch noch das Crowdsurfen. Dass die Kooks zwei Unterbrechungen ihres Konzerts zuließen und das Publikum den Anweisungen brav Folge leistete, lässt vermuten, dass ihre Wuschelfrisuren das mit Abstand Wildeste an ihnen sind.

Mit „Jackie Big Tits“ fingen Luke Pritchard und seine Bandkollegen Hugh Harris (Gitarre), Max Rafferty (Bass) und Paul Garred (Drums) das Publikum sofort wieder ein. Der Sänger knödelte. Die Instrumente schlurften. Der Boden bebte. Und alle sangen mit: „You only go around, round, round …“ Es klang wie: Wir lassen uns den Spaß nicht verderben, der uns 16,70 Euro gekostet hat.

Nach genau einer Stunde, um zehn Uhr, war alles vorbei – inclusive dreier Zugaben. The Kooks blieben keinen Hit schuldig. Sie hatten auch gar keine andere Wahl. Mehr Songs haben sie einfach nicht. DAVID DENK