: Ein Mann. Zwei Worte
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
„No, Sir“ – diese zwei kurzen Worte haben in den Vereinigten Staaten eine Katharsis ohne Gleichen ausgelöst. Denn sie stammen vom designierten Rumsfeld-Nachfolger im Amt des US-Verteidigungsministers, Robert Gates. Der gab sie als Antwort auf eine Frage, die der ebenfalls designierte Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Senat, der Demokrat Carl Levin, Gates gestern während einer Anhörung in Washington stellte. Und die Frage lautete: „Mister Gates, glauben Sie, dass wir den Krieg im Irak gegenwärtig gewinnen?“
„No, Sir!“ Mit diesem kurzen Satz ging eine geradezu spirituelle Erleichterung durch die Nation. Denn er bedeutet, dass unter Gates, US-Präsident George W. Bushs zweitem Verteidigungsminister, Schluss sein wird mit den ewig gleichen Lügen über die Situation im Irak. Und so kam es, dass Gates, der als früherer CIA-Chef unter US-Präsident Bush senior keinesfalls unumstritten war, schon kurz nach Beginn der Befragung kaum noch Widerstand des Auswahlkomitees fürchten musste. Und anders als 1991, als er als Kandidat für den CIA-Posten im Ausschuss vier Tage lang von Kritikern gegrillt worden war, stand diesmal schon am Dienstagabend fest, dass Gates’ Wahl im US-Kongress nur noch Formsache sein werde.
Die Senatoren waren sichtlich glücklich. Denn Gates empfahl sich als eine Art Rückfahrtticket aus dem Irak. In knappen Antworten hat er Kritisches über Bushs Politik gesagt – eine Tatsache, die in Washington allein schon wie ein Strategiewechsel an sich gewirkt haben dürfte. Zudem bekam jeder Fragesteller vom Verteidigungsminister in spe die Antwort, die er sich erhofft hatte. Mark Dayton, ein demokratischer Senator aus Minnesota, brachte Gates dazu, die Administration für die Auflösung der irakischen Armee und die Ent-Baathifizierung der irakischen Regierung zu kritisieren. Der republikanische Senator John McCain bekam zu hören, dass die Zahl der US-Truppen deutlich „zu niedrig“ war. Robert Byrd, Demokrat aus West Virginia, kitzelte aus Gates heraus, dass es verrückt wäre, den Iran oder Syrien anzugreifen. Dem Noch-Ausschussvorsitzenden, dem Republikaner John Warner, sagte Gates, dass „Bush versteht, dass wir im Irak eine andere Strategie benötigen“. Und zu Lindsey Graham, Republikaner aus South Carolina, meinte der Kandidat, der Irak sei nicht notwendigerweise die „zentrale Front“ im Krieg gegen den Terror.
Wo der zurückgetretene Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld berechtigte Fragen des Kongresses an sich abgleiten ließ, schönfärberisch beantwortete oder beleidigend wurde, gab es von einem designierten Mitglied des Bush-Kabinetts zum ersten Mal seit der Krise im Irak ehrliche Antworten. „Offen gestanden, es gibt keine neuen Ideen für den Irak, keine neuen Taktiken, keine Strategien. Alles was es gibt, ist bekannt und wird diskutiert. Die Frage wird jetzt sein: Wie können wir das zu einem Weg zusammenpuzzeln, der uns nach vorn bringt?“, sagte Gates. In die Zukunft blickend warnte der Exgeheimdienstler sogar davor, dass, wenn in den nächsten zwei Jahren keine Lösung gefunden werde, von Bagdad aus ein Flächenbrand um sich greifen könne, der die ganze Region erfassen werde. Zugleich machte der 63-Jährige deutlich, dass er keinen übereilten Abzug der US-Truppen aus dem Irak will. Dass er selbst keine besseren Ideen für Wege aus der Krise habe als die Baker-Hamilton-Kommission, die ihre Vorschläge ebenfalls am Mittwoch präsentierte und deren Mitarbeiter er war. Und dass er eng mit den Demokraten im Kongress zusammenarbeiten wolle.
Maureen Dowd, die Kolumnistin der New York Times, fasste die Anhörung so zusammen, dass die Senatoren „auch einen Axtmörder umarmt hätten, solange er halbwegs Vernünftiges über die Situation im Irak gesagt hätte“.