: Die Spielregeln werden geändert
SPIELHALLEN Der Senat hat der Kasinoschwemme den Kampf angesagt: Eine höhere Vergnügungsteuer, ein Spielhallengesetz und Änderungen der Bauordnung sollen das Wachstum der Branche bremsen. Der Automatenlobby gefällt das erwartungsgemäß gar nicht
ASTRID TAG, QUARTIERSMANAGERIN
VON JULIANE WIEDEMEIER
Berlin scheut ja eigentlich keinen Vergleich mit den Großstädten dieser Welt: mehr Brücken als Venedig, spannendere Klubs als New York, bessere Hotels als London. Aber so viele Spielhallen wie Las Vegas – das muss nun doch nicht sein. Daher hat der Senat Anfang des Jahres den Kasinos den Kampf angesagt: Um deren unkontrolliertes Wachstum zu bremsen, zieht er mit Gesetzesänderungen und einer Bundesratsinitiative alle legislativen Register.
Das Problem lässt sich recht einfach beziffern: Nach Angaben der Landesregierung zählte man im Jahr 2005 knapp 6.000 Spielautomaten in der Stadt. Fünf Jahre später waren es fast doppelt so viele. Auch die Anzahl der Spielhallen, die zwischen 2000 und 2008 leicht rückläufig war, nahm wieder zu: Innerhalb des Jahres 2009 stieg sie um 49 auf 288 Standorte.
Vor allem in sozial schwächeren Teilen der Stadt besetzen Spielhallen entstehenden Leerstand. „Die gesunkene Kaufkraft im Viertel hat viele Geschäfte zur Aufgabe gezwungen. Als Nachmieter haben sich oft nur AutomatenKasinos gefunden“, sagt Astrid Tag vom Quartiersmanagement Körnerpark in Neukölln. Für einen Kiez wie den Körnerpark, wo die höchste Verschuldungsrate des Bezirks gemessen werde, sei das eine gefährliche Entwicklung.
Denn spielen an Automaten ist gefährlich: Laut „Jahrbuch Sucht 2010“ muss gut 1 Prozent der Berliner als spielsüchtig gelten, über 90 Prozent davon sind Männer. Wer sich einmal in die Fänge der Automaten begeben hat, verliert die Kontrolle, gerät in die Schuldenfalle, verstrickt sich in Lügen und landet infolgedessen oft in der sozialen Isolation. Damit einher gehen psychische Probleme wie Ängste, Depressionen und eine steigende Suizidgefährdung. Seit dem Jahr 2001 wird Glücksspielsucht von den Kassen als Krankheit anerkannt.
Darüber hinaus sorgen Spielhallen für eine Abwertung ihrer Umgebung. Denn die Hallen mit ihren grellbunt zugeklebten Fassaden verschandeln nicht nur die Straßenzüge, sie ziehen auch organisierte Kriminalität an. Auch wenn niemand sich mit einem entsprechenden Satz zitieren lassen möchte: Sobald es um Spielhallen geht, ist immer auch von Geldwäsche und illegalem Glücksspiel in Hinterzimmern die Rede.
Bereits zum 1. Januar 2011 hatte der Senat in einem ersten Schritt die Vergnügungsteuer von 11 auf 20 Prozent angehoben, um Gewinnspiele finanziell weniger attraktiv zu machen. Gleichzeitig sollen die erwarteten 25 statt bisher 16 Millionen Euro Einnahmen aus dieser Steuer zur Schuldentilgung dienen. Anfang Februar brachte der Senat ein Spielhallengesetz auf den Weg und machte damit als erstes Bundesland überhaupt von der neuen Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich Gebrauch – ein Effekt der Föderalismusreform. Noch vor der Sommerpause soll es vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.
Fünf zentrale Kriterien formuliert das Gesetz: So soll in Zukunft pro Gebäude maximal eine Spielhalle genehmigt werden. In jeder dieser Hallen dürfen maximal acht Automaten stehen, die bisherige Höchstzahl liegt bei zwölf. Zudem soll zwischen zwei Spielhallen ein Mindestabstand von 500 Metern eingehalten sowie die räumliche Nähe zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche ausgeschlossen werden. Auch die Sperrzeit, die bislang bei einer Stunde liegt, soll ausgedehnt werden – zwischen drei Uhr nachts und elf Uhr vormittags würden die Maschinen dann stillstehen. Darüber hinaus sollen sowohl die Betreiber als auch alle Angestellten von Spielhallen zur Suchtprävention und -bekämpfung geschult werden. Bis auf den Aspekt des Mindestabstands sollen diese Regeln auch für bereits bestehende Hallen gelten.
„Das Gesetz ist der richtige Ansatz, um das Problem der Spielsucht anzugehen“, sagt Kerstin Jüngling, Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin. Man sorge sich jedoch um die nicht immer genauen Definitionen, die der Gesetzesentwurf enthalte: „Zum Beispiel steht nirgendwo, wie die 500 Meter Mindestabstand genau gemessen werden“, kritisiert sie.
Ein großer Wermutstropfen sei zudem, dass Gaststätten, wo ohne Lizenz bis zu drei Automaten aufgestellt werden dürfen, nicht von den Änderungen betroffen seien. „Dabei ist die Hemmschwelle viel niedriger, mal eben im Imbiss beim Warten auf das Schnitzel ein paar Runden zu spielen, als gezielt in eine Spielhalle zu gehen.“
Ein Manko, um das man bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, auf die der Gesetzesentwurf zurückgeht, weiß. Grund dafür sei jedoch, dass die Aufstellung von Spielgeräten in Gaststätten durch die Spieleverordnung geregelt und damit Sache des Bundes sei. „Derzeit läuft eine Evaluation dieser Verordnung, wobei man sich auch mit der Reduzierung der zulässigen Höchstzahl von Automaten, verbesserten Kontrollen zum Jugendschutz sowie erhöhten technischen Anforderungen bei den Spielgeräten in Gaststätten auseinandersetzt“, so die Sprecherin der Wirtschaftsverwaltung, Brigitte Schmidt.
Konkrete Angaben, wie nah etwa eine Spielhalle an Angeboten für Kinder und Jugendliche liegen dürfe, habe man bewusst vermieden. Es gehe vielmehr darum, überhaupt in Zukunft die Möglichkeit zu haben, das räumliche Umfeld in die Entscheidung mit einzubeziehen, ob eine Spielhalle genehmigt werde oder nicht. „Es wird auch absichtlich nicht genau definiert, was alles als Kinder- und Jugendeinrichtung gilt, da die Art solcher Einrichtungen vielfältig ist und grundsätzlich alle in Betracht kommenden Institutionen erfasst werden sollen“, erläutert Schmidt.
Der Senat lässt sich somit in seinem Kampf gegen die Spielhallenflut bewusst einen Spielraum. Damit riskiert er allerdings, dass die Automatenwirtschaft ihn in ihrem Sinne ausnutzt.
Dass das Engagement der Politik dennoch ernst gemeint ist, zeigt sich daran, dass neben der Erhöhung der Vergnügungsteuer und dem Spielhallengesetz noch an einer weiteren Stellschraube gedreht wurde, um die Anzahl neuer Spielhallen möglichst gering zu halten: dem Baurecht.
Zum einen wurde im Februar eine Bundesratsinitiative gestartet, die eine Änderung der Baunutzungsverordnung anstrebt. Demnach sollen Spielhallen nicht länger unter der Kategorie „Vergnügungsstätten“ mitlaufen, sondern künftig als „eigene Nutzungsart“ gelten.
„Vergnügungsstätten sind prinzipiell erst mal erlaubt und werden nur in Ausnahmefällen verboten“, erklärt Daniel Buchholz, der für die Spandauer SPD im Abgeordnetenhaus sitzt und sich seit Langem gegen Spielhallen engagiert. „Dieses Prinzip würde mit einer Änderung umgekehrt, sodass Spielhallen nur ausnahmsweise eine Genehmigung erhielten.“
Zum anderen soll auch die Bauordnung für Berlin geändert werden. „Bisher sind die Gewerbeaufsichtsämter für die Genehmigung von Spielhallen zuständen“, sagt Mathias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Diese Zuständigkeit solle nun an die Bauaufsichtsbehörde fallen, die mehr Spielraum habe, eine solche Halle auch einmal abzulehnen. „Die Änderung wird auf jeden Fall noch vor Ende der Legislaturperiode verabschiedet.
Damit hat das Land Berlin jedoch alle rechtlichen Möglichkeiten ausgereizt, die ihm zustehen, um die Ausbreitung der Spielhallen und die Gefahren der Spielsucht einzudämmen, da sind sich alle Gesprächspartner einig. Während Politiker und Suchtberatungsstellen die Großoffensive begrüßen, gibt sich die Automatenwirtschaft erwartungsgemäß kritisch.
„Bevor man geltendes Recht verschärft, sollte man bestehendes anwenden“, meint Dirk Lamprecht, Geschäftsführer der AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info. So biete bereits die Bebauungsverordnung in der Fassung von 1990 ausreichend Möglichkeiten, die Genehmigung von Spielhallen zu begrenzen und zu steuern. Nur werde diese in den Westbezirken nicht angewandt. Berlin sei also selbst schuld, wenn es in den vergangen Jahren einen solchen Spielhallenboom über sich habe ergehen lassen. Zumal es keiner anderen Stadt in Deutschland ähnlich ergangen sei.
„Das eigentliche Problem sind auch nicht die Spielhallen, sondern die illegalen Spiele in den Hinterzimmern und die Gaststätten, die mehr Automaten aufstellen als erlaubt“, sagt Lamprecht. Diese schadeten dem Ruf der ganzen Branche. „Hier gibt es ein Vollzugsdefizit, da sind die Ordnungsämter gefragt.“ Änderungen wie die Ausweitung der Sperrzeiten blieben dort auch folgenlos. „Wenn jemand unbedingt spielen will, dann sind ihm auch Sperrzeiten egal. Diese treffen nur die seriösen Anbieter.“
Zumindest in diesem Punkt stimmt SPD-Politiker Daniel Buchholz dem Mitarbeiter der Automatenlobby zu: „Die Gesetzesänderung ist wichtig, aber Probleme wie das illegale Glücksspiel oder manipulierte oder zu viel aufgestellte Automaten werden damit nicht beseitigt.“ Ordnungsamt, Polizei und Landeskriminalamt müssten stärker kontrollieren – was jedoch in Berlin meist am Personalmangel scheitere. „Aber vielleicht“, schlägt Buchholz vor, „könnte man ja mal in einer konzentrierten Aktion ein Woche lang Gaststätten mit Spielautomaten überprüfen, statt Falschparker zu jagen.“