Botschaft des Wahnsinns

Beim Derby im spanischen Pokal zwischen den Stadtrivalen in Sevilla sinkt FC-Trainer Juande Ramos nach einem Flaschenwurf zu Boden. Der Vorfall ist das Ergebnis einer allzu sehr gepflegten Rivalität

AUS BARCELONA RONALD RENG

Gut zwei Stunden, bevor das Derby begann, gingen die Betreuer des FC Sevilla in die Gästekabine im Stadion des Rivalen Betis Sevilla, um die Spielkleidung ihrer Fußballer auszulegen, die Massagebänke aufzustellen, die Kabine ein wenig heimisch zu gestalten. Minuten später hasteten sie wieder hinaus, atemlos, mit Tränen in den Augen. Jemand hatte den Kabinenboden mit einer atemraubenden Mischung aus Ammoniak und Putzmittel getränkt.

Solche kruden Scherze gehören zum Sevillaner Derby, das am Mittwoch im Viertelfinale des spanischen Pokalwettbewerbs stieg. Zum bitteren Ernst ist es nicht weit von derartigen Späßen. In der 57. Spielminute des Cupspiels jubelte Juande Ramos, der Trainer des FC Sevilla, über das 0:1 seiner Elf, plötzlich taumelte er und fiel. Der Teamarzt sah nur das Weiße in Ramos’ Augen. Ein Betis-Fan hatte ihm eine fest verschlossene, gut gefüllte Wasserflasche gegen den Kopf geworfen. Der Schiedsrichter brach das Spiel ab. In Wochen, in denen der Mob in Catania einen Polizisten tötete und sich bei einer Partie in Leipzig 800 Halbstarke Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, wird Sevilla in eine Reihe mit Sizilien und Sachsen gestellt. Doch der Wasserwurf von Sevilla hatte nichts mit Hooliganismus zu tun. Der spanische Fußball hat viele Probleme. Organisierte, systematische Gewalt gehört nicht dazu.

Die Zahl der von der Polizei registrierten gewaltbereiten Fans ist in den vergangenen zehn Jahren auf ein Drittel geschrumpft. Hooligans in Spanien haben ein Nachwuchsproblem. In kaum einem Klub umfasst die Gruppe der Schläger mehr als 20 Männer, und nur in Vereinen wie Espanyol Barcelona oder Atlético Madrid, wo eine zögerliche Vereinsführung den Asozialen nachgibt, machen sie sich noch ab und an in Scharmützeln bemerkbar. Der FC Barcelona dagegen hat mit null Toleranz die Hooligans nachhaltig aus dem Stadion vertrieben.

Was in Sevilla passierte, ist der einmalige Fall, wie zwei Klubs und ihre Präsidenten mit ihrer folkloristisch gepflegten Rivalität der Gewalt den Boden bereiteten. Manuel Ruiz de Lopera, der Mehrheitseigner von Betis, und José María del Nido, Präsident des Uefa-Cup-Siegers FC Sevilla, haben auf peinliche Art seit Jahren das „Im Derby ist alles erlaubt“ vorgelebt. Müssen sie, muss sich irgendwer wundern, dass sie Nachahmer fanden?

Vor jedem Derby benehmen sich Lopera und del Nido wie Kinder. Zum Ligavergleich am 10. Februar erschien Lopera nicht, weil er nicht in der Nähe del Nidos sitzen wollte, und stellte stattdessen eine bronzene Büste seiner selbst auf seinen Platz. Del Nido weigerte sich theatralisch, mit der Büste fotografiert zu werden. Ein Betis-Direktor schubste ihn die Treppe hinunter. Der verbale Schlagabtausch vor dem Pokalspiel war eine tägliche Seifenoper, der andalusische Ministerpräsident musste die beiden wie dumme Schüler zur Ordnung rufen. Als del Nido am Mittwoch in der Präsidentensuite Platz nahm, war wieder nur die Büste da. Noch vor Anpfiff platzte del Nido die Nase, getroffen von einem Wurfgeschoss. Und dann flog eine Wasserflasche.

Dem erschütterten Hirn von Trainer Ramos ging es tags darauf schon wieder besser. Der spanische Sportminister Jaime Lissavetzky rief noch am Donnerstag die Gremien zusammen, um über Spielwertung und Sanktionen zu entscheiden. Schon im Dopingkampf ist Lissavetzky in Spanien ein entschlossener, aber einsamer Vorreiter. Von den Oberen des spanischen Fußballs ist nichts zu erwarten. Vor über drei Jahren wurde dem FC Barcelona zur Strafe für Flaschenwürfe auf Real Madrids Luís Figo eine Stadionsperre von einem Spiel auferlegt. Die Strafe wartet bis heute auf ihre Umsetzung.

Es bleibt die Hoffnung, dass die eine Tat, die zu weit ging, die letzte Botschaft des Wahnsinns in Sevilla war. Aber wie groß ist diese Hoffnung? Der Krankenwagen mit Juande Ramos verließ am Mittwoch unter Blaulicht das Stadion. Einige Meter weiter wurde er von Betis-Fans mit Steinen beworfen.