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Archiv-Artikel

„Gore und ich, wir müssen abnehmen“

Will CDU-Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger das Gesicht eines neuen, konservativen Klimaschutzes werden? Ein Gespräch über erneuerbare Energien, sein Nein zur Atomkraft, Schwarz-Grün und Gemeinsamkeiten mit dem früheren US-Vizepräsidenten und Weltklimaschützer Nummer Eins, Al Gore

INTERVIEW MATTHIAS LOHRE

taz: Herr Pflüger, sind Sie Deutschlands Al Gore?

Friedbert Pflüger: Mit Verlaub: Der Vergleich hinkt.

Wieso? Sie plädieren beide für eine Abkehr von der Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Und beide erfahren dadurch einen Imagewandel: vom hüftsteifen Bürokraten zum sympathischen Umweltengel.

Hüftsteif? Von wegen! Bei allen Unterschieden: Wir haben das gleiche Anliegen. Wir wollen beide alle Kräfte der Menschheit auf die Abwendung der Klimakatastrophe lenken. Das ist übrigens ein Frieden stiftendes Projekt. Wenn Amerikaner, Chinesen, Russen, Israelis und Araber begreifen, dass der Klimawandel eine Gefahr für uns alle ist, erwächst daraus eine bislang ungekannte Gemeinsamkeit, eine gemeinsame Agenda.

Erst mal müssen Sie Ihre Parteifreunde überzeugen. Wie wollen Sie der Union das Ja zum Atomausstieg schmackhaft machen?

Wir Deutsche haben eine ungeheure Chance: Mit erneuerbarer Energie können wir unseren Planeten retten, zugleich Arbeitsplätze schaffen und noch viel Geld verdienen. Wir dürfen bei der Erforschung erneuerbarer Energien nicht den Anschluss verlieren. Zu oft haben unsere Ingenieure die technischen Grundlagen gelegt, und ausländische Firmen brachten die Produkte zur Marktreife. Denken Sie an die Hybrid-Technik! Wir müssen jetzt bei uns die Energiewende vollziehen.

Zur selben Zeit greifen Ihre Parteifreunde die von Rot-Grün beschlossene Abkehr von der Atomkraft an. Bayerns Wirtschaftsminister fordert den „Ausstieg aus dem Ausstieg“. Wie überzeugen Sie die Union vom Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg?

Wer glaubt, die Kernkraft sei die Lösung, der verpasst den Übergang ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wir müssen die nukleare und fossile Ära überwinden. Das Hantieren mit der Atomkraft übersteigt tendenziell die Fähigkeiten des Menschen. Zu selten hatten wir in der Menschheitsgeschichte über längere Zeiträume stabile Verhältnisse, die es für Betreiben, Transport und Endlagerung von nuklearen Stoffen braucht.

Geht es etwas optimistischer? Die CDU-Arbeitsgruppe Umwelt schlägt Radikales vor: Im Jahr 2020 sollen Öko-Energien 35 Prozent der Stromerzeugung ausmachen. Das ist mehr, als von der großen Koalition beschlossen, sogar mehr als die Grünen fordern.

Es ist möglich. Die Potenziale der erneuerbaren Energien sind gewaltig, sie werden immer noch unterschätzt. Da brauchen wir eine Revolution. Anfang der 1960er erklärte US-Präsident Kennedy die Eroberung des Mondes zum großen Ziel. Die Energiewende muss unser „Mann auf dem Mond“-Projekt werden.

Wer soll diese Zielmarke vorgeben? Die Bundeskanzlerin?

Frau Merkel ist da ungeheuer kenntnisreich. Sie war in den 90ern ja nicht umsonst vier Jahre Bundesumweltministerin. Sie tut der Umwelt besser als der „Autokanzler Schröder“. Ich bin zuversichtlich, dass sie als EU-Ratspräsidentin und Gastgeberin des G-8-Gipfels im Juni wichtige Impulse geben wird.

Sie stützen die Kanzlerin auch bei deren Familienpolitik und fordern einen „Familiengipfel“ für mehr Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige. Tun Sie sich selbst einen Gefallen?

Wenn Sie so wollen: Ich habe einen zweieinhalbjährigen Sohn, der die Kita besucht. Ich empfinde das nicht als Abschieben meines Jungen in die kalten Hände staatlicher Obhut. Im Gegenteil: Das Spielen mit Gleichaltrigen ist für ihn die perfekte Ergänzung zur elterlichen Liebe. Beides gegeneinander auszuspielen – hier die heile Familie, dort die entfremdende Kita – ist Blödsinn. Übrigens: Das Präsidium der CDU hat gerade beschlossen, ein Spitzengespräch der verantwortlichen Minister aus Bund und Ländern zum Thema Familienpolitik bei Frau von der Leyen zu befördern.

Gegen den Kita-Ausbau hat Augsburgs Bischof Walter Mixa polemisiert. Vergangene Woche kritisierte er von der Leyens Familienpolitik als „kinderfeindlich und ideologisch verblendet“.

Ich kenne Bischof Mixa seit Jahren und schätze ihn. Aber hier hat er sich in Form und Inhalt total vergriffen.

Mehr Kinderkrippen, Nein zur Atomkraft, Ja zu erneuerbaren Energien. Verschreckt die neue CDU-Linie nicht heimatlos gewordene „Wertkonservative“?

Die Wahlfreiheit wertet doch nicht denjenigen ab, der die Erziehung von Kleinkindern zu Hause für das Schönste der Welt hält. Und ist es nicht im Wortsinne „wertkonservativ“, die Umwelt zu schonen?

Bescheren Ihnen solche Worte böse Briefe von CDU-Mitgliedern?

Einige. Aber es gibt auch viel Ermutigung.

Wünschen Sie sich mal was. Wie soll die Union in fünf oder zehn Jahren aussehen?

Ich wünsche mir, dass sich die Umweltpolitik weiter Richtung erneuerbare Energien entwickelt. Ich wünsche mir, dass sich Frau von der Leyens Familienpolitik durchsetzt. Ich wünsche mir, dass wir Migranten nicht vor allem als Problemfälle betrachten, sondern auch als Chance. Der Islamgipfel von Bundesinnenminister Schäuble war ein guter Anfang. Und ich wünsche mir, dass wir die Vielfalt der Lebensstile als Bereicherung begreifen. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden – auf der Grundlage von Verfassung und Recht. Dann wird die CDU auch in den Großstädten gewählt werden.

Klingt wie aus einem Wahlprogramm der Grünen. Deren Chef Reinhard Bütikofer fühlte sich bereits zu dem Hinweis gedrängt: „Ein Pflüger macht keine grüne CDU.“

Ich bin kein Einzelkämpfer in meiner Partei. Auch Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust zählt zu den Unterstützern der Umweltpolitik eines Klaus Töpfer. Schon 1987 trug eine Regierungserklärung von Kanzler Kohl den Titel „Die Schöpfung bewahren – die Zukunft gewinnen“.

Bewerben Sie sich mit solchen Worten als erster Regierungschef einer Jamaica-Koalition? Spekulationen über Schwarz-Gelb-Grün in der Hauptstadt werden immer beliebter.

Jamaica ist eine Option für die Zukunft, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir alle brauchen aber noch Zeit. Wir müssen noch viele Vorurteile und Widerstände überwinden – sowohl bei der CDU, aber auch bei Grünen und der FDP. Seit der Abgeordnetenhauswahl vor fünf Monaten klappt die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Parteien in der Opposition sehr gut. Gemeinsam haben wir gegen die SPD-PDS-Koalition durchgesetzt, dass Wolf Biermann Ehrenbürger Berlins wird. Und wir werden gemeinsam Mitte März eine Berlin-Konferenz veranstalten, die die enormen Chancen dieser Stadt auch nach dem Karlsruher Urteil hervorheben wird.

Die alten Gräben scheinen aber ziemlich schnell zugeschüttet worden zu sein.

Mit meinem Bekenntnis zu erneuerbaren Energien will ich den Grünen keinen Honig um den Bart schmieren. Schon vor 15 Jahren habe ich über nachhaltige Umweltpolitik ein Buch geschrieben: „Ein Planet wird gerettet“. Kulturelle Vorurteile auf beiden Seiten gibt es bis heute. Bei uns glauben viele, die Grünen liefen strickend, kiffend und Latzhosen tragend durch die Welt und hegten insgeheim noch immer Neigungen für den Marxismus-Leninismus. Viele Grüne halten wiederum CDUler für Spießer, die mit ihren Kindern abends inmitten von Möbeln des Gelsenkirchener Barocks Heino-Lieder hören. Diese idiotischen Vorurteile werden allmählich schwächer.

Also gut: Wie lange dauert’s noch bis zu Jamaica in Berlin?

Ich stehe nicht morgens auf und sage: Heute stelle ich eine Jamaica-Koalition auf die Beine. Arbeiten wir, diskutieren wir – und sehen einfach gelassen, was daraus wird.

Sie wollen eines der weltweit sieben „Live Earth“-Konzerte am 7. Juli, die Al Gore mitorganisiert, nach Berlin holen. Was ist Ihre Motivation?

Weil ein solches Ereignis das Bewusstsein vieler Menschen dafür schärfen kann, wie notwendig ökologisches Denken heute tatsächlich ist. Ich bin diesbezüglich bereits in Verhandlungen mit einem einflussreichen Konzertmanager.

Dann haben Sie und Al Gore ja doch etwas gemein.

Stimmt. Wir müssen beide etwas abnehmen.