piwik no script img

Archiv-Artikel

„Am untersten Rand des Existenzminimums“

Wolfgang Grotheer erläutert, warum er eine Regelsatz-Anhebung, nicht aber die Initiative „Sozialticket“ unterstützt

taz: Herr Grotheer, derzeit werden Unterschriften für ein Sozialticket gesammelt, mit dem ALG II-EmpfängerInnen für15 Euro Straßenbahn fahren könnten. Unterstützen Sie das?

Wolfgang Grotheer, sozialpolitischer Sprecher der SPD: Ich sehe das als Wahlkampfaktion der WSAG – deswegen werde ich nicht unterschreiben.

Neben Aktivisten der „Linkspartei“ engagieren sich auch parteilose Schwachhauser BürgerInnen für das „Sozialticket“.

In der Sache ist das Anliegen vernünftig. Aber wir als SPD sind weiter: Unser Landesparteitag hat die Anhebung der Hartz IV-Regelbedarfssätze um 20 Prozent gefordert. Derzeit liegen sie am untersten Rand des Existenzminimums, davon kann man höchstens einige Monate leben. Zumal es auch die „Hilfen in besonderen Lebenslagen“ nicht mehr gibt, wenn jemand dringend neue Schuhe braucht oder der Kühlschrank kaputt geht. Für Ernährung eines Kindes stehen 2,62 Euro pro Tag zur Verfügung.

Das alles ist von Ihrer Partei so beschlossen worden.

Zusammen mit den Grünen. Über den Bundesrat waren auch CDU und FDP beteiligt.

Halten Sie die bei Hartz IV gemachten Fehler für graduell oder grundsätzlich?

Ich finde es nach wie vor richtig, dass wir die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengefasst haben. Aber neben der Anhebung des Regelsatzes muss auch die Inflation ausgeglichen werden. Außerdem ist uns aufgefallen, dass nur 85 Prozent der Energiekosten gewährt werden, die für die unteren Einkommensgruppen ermittelt sind.

Was wollen Sie vor Ort tun?

Im Rahmen der Ganztagsbetreuung wollen wir den freien Mittagstisch für Kinder von Hartz IV-EmpfängerInnen einführen. Auch bei Klassen- und Kitaausflügen oder Sportvereinen prüfen wir, was sich kommunal machen lässt. Daneben gibt es eine Reihe kostenneutraler Maßnahmen: Arme Kinder könnten kostenfrei in Schwimmbäder, Museen und andere Einrichtungen, die die Stadt betreibt. Bei der Straßenbahn muss es eine Schülerkarte für zehn statt 20 Euro geben – mehr ist im Regelsatz für Kinder ja auch nicht vorgesehen.

Eine Erwachsenen-Monatskarte kostet im Abo 34,20 Euro bei einem Regelsatz von 16,11 Euro für „Mobilität“. Warum machen Sie das Sozialticket nicht zum Wahlkampfthema?

Ich will die Initiative nicht diffamieren, aber viel wichtiger ist es, seine Stimme einer Partei zu geben, die die Chance auf Regierungsbeteiligung hat. Ein Problem ist im Übrigen, dass wir über den VBN eine Tarifgemeinschaft mit den Umlandgemeinden haben. Aber als SPD-Sozialpolitiker werden wir das Thema „Sozialticket“ in jedem Fall weiterverfolgen.

INTERVIEW: HENNING BLEYL