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Archiv-Artikel

Ton, Steinway, Scherben

Der Sound schläft überall, sagt der Hamburger Musiker und Schauspieler Christian von Richthofen. Zum Beispiel in einem Opel Kadett E, den von Richthofen in seiner Percussion-Show „Auto Auto“ so lange als Instrument benutzt, bis die Trommelkunst dem Blech den Gar aus gemacht hat

VON KLAUS IRLER

Angehörige der Automobil-Branche kennen die Szenerie. Ein Saal, Stuhlreihen, eine Bühne, und auf der Bühne ein Auto. Es ist das Arrangement, das Autobauer für die Präsentation ihrer neuen Modelle wählen. Wenn die Bühne in erster Linie dem Blech gehört und in zweiter Linie dem Markenchef.

Der Musiker Christian von Richthofen hat selbst kein Auto mehr. Wenn er in der S-Bahn sitzt und nebenan die Autos im Stadtverkehr Stoßstange an Stoßstange stehen sieht, denkt er sich: „Das Auto ist eine Geisel.“ Gleichzeitig ist das Auto für Christian von Richthofen ein „großartiges Instrument“. Im wörtlichen Sinn: Von Richthofen macht zusammen mit Kristian Bader die Show „Auto Auto“. In der wird gesungen, vor allem aber wird getrommelt: Der Rhythmus zum Gesang kommt vom Auto. Von Richthofen und Bader nutzen es als Percussion-Instrument, bearbeiten das Auto auf der Bühne beeindruckend virtuos mit Händen und Fäusten, trommeln auf Motorhaube und Rahmen, schlagen die Türen, treten gegen die Karosserie, kratzen mit kleinen Rechen über das Lüftungsgitter, grooven auf der Zierleiste mit Stahlstangen. Das alles geschieht in einem genau einstudierten Zusammenspiel, das eher einem Tanz gleicht: Von Richthofen und Bader trommeln mit Ganzkörpereinsatz. Sie spielen vielschichtige Grooves, oft lateinamerikanische wie Samba und Bossa nova, und das mit erstaunlich unterschiedlichen Klangfarben, die man dem Automobil nicht zugetraut hätte.

Außerdem haben sie entdeckt, wie schön eine splitternde Windschutzscheibe klingt. Und eine Flex, die durch das Dach dringt. Und zwei Vorschlaghämmer, die die Karosserie zu einer großartigen Bass-Trommel machen und damit eine Tschaikowsky-Tonbandeinspielung zum Grooven bringen. Am Ende sind die Musiker kräftemäßig erschöpft und das Auto ist demoliert. Ausschließlich durch die Mittel der Kunst, so dass von Vandalismus in keinem Moment die Rede sein kann.

Von Richthofen hat die Show vor sechs Jahren gemeinsam mit Stefan Gwildis in Hamburg konzipiert, jenem Gwildis, der mittlerweile mit deutschsprachigem Soul viele Platten verkauft. Dieses Jahr noch soll eine DVD über das Projekt entstehen. Und vom 1. bis 26. August wird von Richthofen die Show in Schottland beim Edinburgh Festival zeigen, Tag für Tag. Was körperlich eine Herausforderung sein wird. „Man kommt physisch an seine Grenzen“, sagt der 50-jährige von Richthofen. „Ich werde wie ein Boxer vorbereitet sein.“

Ungefähr 300 Autos habe er bisher in seinem Leben bespielt, sagt von Richthofen. Was die Wahrnehmung durchaus verändert hat: Als er beim gemeinsamen Spaziergang einen kleinen Haufen Autoscherben auf dem Bürgersteig sieht, sagt er: „Das war ein Einbruch. Wenn man von außen auf die Seitenfenster haut, dann fallen die Scherben nach außen. Anders ist das bei der Heckscheibe, da fallen sie nach innen.“ Auch kann er erzählen, dass der Opel Kadett E der „Steinway unter den Konzertautos“ sei. Von Richthofen spielt nichts anderes. „Weil der Opel Kadett E so ein billiges, einfaches Blech hat. Da ist nichts gedämmt wie bei einem Mercedes. Das klingt hammermäßig.“

Herausgefunden hat er das in Feldforschungen am Schrottplatz des Norderstedter Autoverwerters Kiesow, der auch Sponsor der Show ist. Außerdem war von Richthofen der Leiter der Hot Schrott Band, in der sozial benachteiligte Jugendliche aus den Hochhaussiedlungen im Osdorfer Born im Westen Hamburgs Musik machten. Damals trommelten sie auf Schrott, gewannen Preise und durften in einer feinen Blankeneser Kirche zum Gebet trommeln. Es war eine gute Zeit für von Richthofen. Und die Geburtsstunde der „Auto Auto“-Show: „Wir hatten anfangs in der Hot Schrott Band auch Leute, die nachts durch Osdorf zogen und mit der Keule Windschutzscheiben zertrümmerten.“ Die holte er von der Straße auf den Schrottplatz und hat gesagt: „Ich zeige euch den Rhythmus.“

Von Richthofen sagt: „Ich liebe den Moment, in dem Menschen merken, dass sie Musik machen können.“ Da ist er ganz Pädagoge, und tatsächlich hat er auch mal als Musiklehrer gearbeitet. Dann aber kam die Schauspielerei dazu und von Richthofen ist „gerne auf der Bühne“. So gerne, dass er auch mal spontan im Gasthaus auf Speisekarte, Heizkörper und Wandvertäfelung trommelt – und sich zum Gespräch am Tisch nebenan macht.

Von Richthofen hat mit vielen Promis gearbeitet. Da war seine Zeit am Hamburger Schauspielhaus, erst als Musiker, später als Schauspieler. Von Richthofen hatte Engagements, unter anderem in Lüneburg, Kiel und Bremen, und berichtet von wilden Abenden mit Peter Zadek und Christoph Marthaler. Dann kam 1998 der Grand Prix, an dem er zusammen mit Annette Humpe im deutschen Vorentscheid gegen Guildo Horn verlor. Dann kam eine berufliche Krise: „Ende 98 ging bei mir nichts mehr.“

Vielleicht kann man sagen, dass ihn das ortsübergreifende Trommeln auf Schrottplätzen, Brücken, in Parkhäusern und Treppenhäusern zurück auf die Spur gebracht hat. Sicher waren da auch diverse Rollen in TV-Sendungen und Workshops für Belegschaften. Was von Richthofen aber richtig gerne hätte, das wäre ein „Musikalisches Einsatzkommando – MEK. Leute, die überall Unruhe stiften, indem sie anfangen, mit dem, was gerade da ist, Musik zu machen. Die Entdecken, wo Musik in vorhandenem ‚Instrument‘ schläft.“

Eines der nächsten Projekte wird sein, ein Parkhaus in Altona perkussiv zum Klingen zu bringen – mit Stahlschränken und Hartplastik. Es wird das Abschlusskonzert der nächsten Ausgabe des Festivals „Altonale“ sein.

nächste Termine von „Auto Auto“: 7. März, Stadeum in Stade; 20. April Universum in Bünde