: Malen gegen die Angst
Die fulminante Malerei des alten Picasso weckt Begeisterung und stimmt zugleich ein wenig melancholisch. Kritik an der Ausstellung ist fast unmöglich und auch nicht eigentlich nötig
VON KATJA BEHRENS
Oft sind es eher die letzten Worte eines Menschen, denen besondere Bedeutsamkeit zugesprochen wird. Die letzten Bilder von Picasso zeugen dagegen nicht nur von der erschreckenden Kreativität des spanischen Malers im hohen Alter, auch von der fast ebenso erschreckenden Besessenheit, malend am Leben festzuhalten. Hunderte von Gemälden, Zeichnungen und Radierungen sind in der Ausstellung „Picasso – Malen gegen die Zeit“ in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW (K20) zu sehen.
Der Versuch der Nachwelt, das letzte Gemälde, das der 92-Jährige zehn Monate vor seinem Tod (am 8. April 1973) gemalt hat, als ein „Testament“ zu lesen, befriedigt vermutlich eher die Nachlassverwalter. Aber die seltsam zurückhaltende Farbigkeit des Bildes ist, verglichen mit den exstatischen Farbexplosionen der meisten anderen Bilder dieses Spätwerks, immerhin bemerkenswert. „Die Umarmung“ lautet der Titel des mit dicken schwarzen Umrisslinien in blassem Rosa gemalten Liebespaares vor blauem Meer. Es greift in den Farben von Picassos Jugend die zentralen Motive von rauschhafter Liebe und melancholischer Todesgewissheit auf, und verbindet sie – indem mit der Schaumkrone eine bewegte Horizontlinie auftaucht – wieder mit der realen Lebenswelt. Das Bild wirkt trotz der verknäulten Leiber-Masse fast klassisch.
Rund 35.000 Werke hat Picasso (1881-1973) in seinem Leben geschaffen. Lange Jahre stieß das Spätwerk auf Ablehnung. Sechzig Gemälde aus dem letzten Lebensjahrzehnt und rund hundert Zeichnungen, Graphiken und einige Skulpturen hat Werner Spies, ehemaliger Direktor des Centre Pompidou, nun für die Ausstellung zusammengetragen, die erst in der Albertina in Wien gezeigt wurde und nun im K 20 vermutlich ähnlich viele Besucher anlocken wird. Typisch für das Spätwerk ist Picassos Arbeiten in Serien. Seien es die Paraphrasen zu historischen Gemälden wie Eduard Manets „Déjeuner sur l‘herbe“, oder eigene Sujets – immer wieder umkreisen die Bilder dieselben Themen mit kleinen Nuancen und Variationen. Der Künstler sagte: „Gäbe es nur eine Wahrheit, könnte man nicht 100 Bilder zum gleichen Thema machen.“
Musketier und Torero, die Projektionsziele spanischer Männlichkeit, werden beim späten Picasso nicht ohne Ironie mit den Zwergen aus Velazquez höfischen Porträts ineinander geblendet. Helden in klassischem Sinne sind sie nun nicht mehr. Die hauptsächliche Begründung seines Werkes sei die Libido, so Kurator Spies. Und – ganz banal und existenziell – die Angst vor dem Tod. In Picassos Bildern feiern erotische Besessenheit und narrative Freiheit deshalb Hochzeit.
Und da der wilde Maler eben auch ein überaus präziser Zeichner war, erzählen die graphischen Blätter äußerst ausführlich und nun mit kontrollierter Emphase vom Liebesrausch des Unersättlichen. Sie greifen die alten Geschichten von Maler und Modell, von Männlichkeit und Weiblichkeit und allem was dazwischen liegt, auf. Natürlich müssen die Bilder des alten Mannes, der die letzten zehn Jahre des Lebens mit seiner Frau Jacqueline Roque zurückgezogen im südfranzösischen Mougins lebte, keine Dokumentationen seines Tages sein. Sie sind Erinnerungsspuren. Aber was für welche.
Bis 28. Mai 2007 Infos: 0211-8381130