: Nicht alles war grausam
Peinliche Lieblingsmusik – da die Atzen bereits oben von Kollege Winkler verarztet werden, geht es hier nicht um aktuelle peinliche Lieblingsmusik, sondern um die von früher – wo man heute jugendlichen Über-/Unterschwang als Entschuldigung ins Feld führen kann oder den Berufswunsch „Sänger in einer Acapella-Band“. Dies führte kurz nach der Wende dazu, eine Gruppe von früheren Leipziger Sängerknaben (von den Thomanern), die sich als Band selbständig gemacht hatten, ganz ganz super zu finden. Sie sangen lustige Lieder darüber, dass sie so gerne Millionär seien, ein massenkompatibler Wunsch, oder berichteten von der traurigen Liebesgeschichte von Gabi und Klaus, die immer zum falschen Moment einander wollten und dann jeweils traurig durch den Regen liefen. Das alles traf den Nerv des wiedervereinigten Deutschlands, die Prinzen wurden zum ersten gesamtdeutschen Popphänomen. „Das Leben ist grausam“ war 1991 ihre erste Platte, entdeckt und produziert von Annette Humpe, und aufgrund des großen Erfolgs schoben die Prinzen im Jahr danach das Album „Küssen verboten“ nach, mit einer schmissigen gleichnamigen Single-Auskopplung, in der Sänger Sebastian Krumbiegel von seiner Kuss-Unlust gegenüber Frauen berichtete, sicherheitshalber aber klarstellte, dass das auch für Männer gelte: „Doch letzte Nacht im Traum / Tobias kam zur Tür herein / Ich sah große feuchte Lippen / Und ich konnte nur noch schrein / AAAAAAH!“ Die Fans schrien mit, und so ordneten sich die Prinzen nach und nach im harmlosen Schlager-Pop ein. Sie wurden die schwiegersohntauglichen Leipziger Herzbuben der Nation, entdeckten mit den folgenden Alben Instrumente für sich und beraubten sich so ihres Alleinstellungsmerkmals, nicht nur meiner Meinung nach: Kein Album der Prinzen war später so erfolgreich wie ihr erstes, „Das Leben ist grausam“ (knapp über eine Million Verkäufe). Seither haben die Prinzen elf Studioalben aufgenommen. Es wäre einfach und wohlfeil, sich über drollige Titel wie „Alles mit’m Mund“ (1996) oder „So viel Spaß für wenig Geld“ (1999) lustig zu machen, über das protophilosopische „Frauen sind die neuen Männer“ (2008) oder dümmlich-deutsches Denglisch in „Be cool, speak Deutsch“. Als früher Fan, der diesen langsamen Verfall beobachten musste, wäre es genauso leicht und wohlfeil, ein Fazit mit ihrer ersten Platte zu ziehen: dass das Leben grausam sei. Versöhnlicher beschreiben die Prinzen selbst ihre zwanzig Band- und Nachwendejahre: „Es war nicht alles schlecht“ ist Titel des Best-Of-Albums und das Motto ihrer Tour, mit Auftritt am Sonntag um 20 Uhr im Tempodrom. Malte Göbel