Her mit meinem Garten!

DATSCHEN Piefigkeit war einmal: Die rund 70.000 Kleingartenparzellen der Stadt sind unter jungen Berlinern heiß begehrt. Gartenbesitzer zu werden ist deshalb gar nicht so einfach. Eine Anleitung von Claudius Prößer

1.

Sie brauchen einen Garten. Vielleicht wissen Sie es noch nicht. Aber standen Sie nicht letztens in der Küche und beschnupperten die Erdanhaftungen des Biorettichs? Wie gut das roch! Und Ihre Lieblingsstelle im Park ist auch nicht mehr, was sie mal war: überall Scherben von Mate-Flaschen. Gerade eben haben Sie wieder minutenlang durchs Bürofenster auf die Bäume gestarrt, in denen der Wind spielt. Sehen Sie: Sie brauchen einen Garten.

2.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Nüchtern betrachtet gibt es zwar über 200.000 Gärten in Berlin, also mehr als, sagen wir, Mainz Einwohner hat. Da müsste doch auch einer für Sie dabei sein. Aber die schönsten Äpfel hängen meistens zu weit oben, und in vielen anderen ist der Wurm drin.

3.

Genau genommen war das eben ein bisschen schöngerechnet. An 160.000 Gärten hängt vorne noch etwas dran, und zwar ein Einfamilienhaus. Wenn Sie das mit Ihrer Lebensabschnittsplanung und dem Haushaltseinkommen vereinbaren können: nur zu.

4.

Aber nehmen wir an, Sie wollten nicht gleich umziehen, vor allem nicht raus aus dem städtischen Getümmel. Irgendwie sind Sie ja doch ein urbaner Mensch. Apropos: Wäre dann nicht Urban Gardening Ihr Ding? Man liest so viel davon. Da gibt es den Prinzessinnengarten in Kreuzberg oder das Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld, das Himmelbeet in Wedding und viele andere. Die Website stadtacker.net kennt über 100 Gemeinschaftsgärten in Berlin.

5.

Ein bisschen extrovertiert müssen Sie natürlich schon sein fürs Urban Gardening. Ja, sogar ein Hauch Exhibitionismus kann nicht schaden. Etwa die Gärten auf dem Tempelhofer Feld: Das sind kleine Inselchen aus Hochbeeten, die in der großen Weite treiben. Sollte es Sie nerven, dass alle naselang ein Tourist sein Smartphone vor Ihre Sonnenblumen hält, ist das vielleicht nicht so Ihr Ding. Andererseits sind viele der kleineren Gemeinschaftsgärten geschlossene Gesellschaften – von Mehrgenerationenhäusern, Kita-Gruppen, Kiezinitiativen.

6.

Nehmen wir also an, Sie wollten den Klassiker: einen Kleingarten. Rund 73.000 Parzellen gibt es, organisiert in mehr als 900 Anlagen bzw. Kolonien. Die allermeisten liegen außerhalb des S-Bahn-Rings, aber auch nicht jottwede – vor dem Landkoller brauchen Sie keine Angst zu haben. Kleingarten-Riesen sind Pankow, Neukölln, Treptow-Köpenick und Charlottenburg-Wilmersdorf. Echten Seltenheitswert hat dagegen ein Garten in Friedrichshain-Kreuzberg: Hier gibt es exakt zwei Kolonien – auf Stralau und im Gleisdreieckpark.

7.

Was Sie jetzt brauchen, ist Geduld – aber das ist ohnehin eine gärtnerische Tugend. Ergoogeln lässt sich so ein Wunschgarten eher nicht. Sie können höchstens durch die Laubenkolonien pirschen und Ausschau halten, wo es Ihnen gefallen könnte. Dann aber läuft alles ganz geordnet: per Bewerbung an den Kleingärtner-Bezirksverband bzw. beim Verein der Bahn-Landwirtschaft (alle Adressen unter: stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/stadtgruen/kleingaerten).

8.

Sie kennen das von der Wohnungssuche: Hell, mit U-Bahn und tollen Nachbarn ist schwieriger zu finden als dunkel, mit Autobahn und Psychoterror. Wobei die Pacht beim Kleingarten nicht das Ausschlusskriterium ist. Die wird vom Bundeskleingartengesetz (BKleingG) begrenzt und beläuft sich pi mal Daumen auf 500 Euro inkl. Betriebskosten – im Jahr. Teuer kann es aber anfangs werden, weil der Vorpächter für seine Laube und andere Investitionen Abstand verlangen darf. Drei- oder viertausend Euro können da schon drin sein. Wenn Sie jetzt bereit sind, die Zähne zusammenzubeißen, könnte das Ihre Position auf der Warteliste deutlich verbessern.

9.

Und? Hat’s geklappt? Sie sind GärtnerIn? Herzlichen Glückwunsch! An Langeweile werden Sie sich in ein paar Jahren nur noch undeutlich erinnern. Am besten Sie suchen sich erst mal den perfekten Platz für die Hängematte. Legen Sie das Bier kalt und bewaffnen sich mit Gartenliteratur. Es gibt eine Menge zu lernen.

10.

Unter anderem, was überhaupt so geht in einem Kleingarten. Hatten wir das komplexe Regelwerk nicht erwähnt? Laut BKleingG und den Landesvorschriften für Kleingärten muss zum Beispiel mindestens ein Drittel der Fläche zum Obst- oder Gemüseanbau verwendet werden. Na, das wollten Sie ja sowieso. Bäume, die über sechs Meter hoch werden können, sind tabu, Nadelgehölze auch. Einen Sonnenkollektor dürfen Sie aufstellen, aber kein Windrad. Hühner ja, Schafe nein. Usw. usf.

11.

Immerhin: Niemand wird Sie zwingen, Gartenzwerge aufzustellen oder Gift zu versprühen. Im Gegenteil: Unkrautvernichter etwa sind streng verboten. Öko und Laube, das kann zusammengehen. Auch wenn das Ihr Nachbar noch nicht weiß, der da gerade die Rasenkante mit einem Werkzeug abzirkelt, dessen Namen sie nicht kennen und auch nicht kennen wollen. Nun denn: Möge der Bessere gewinnen.

Der Milieuwandel in den Kleingärten SEITE 44, 45